Der Zollpackhof der Anhalter Bahn
Erster Teil
Topanker
Einleitung1
Text: Lutz Röhrig Bild: Lutz Röhrig und Cornelia Grosch
Als einer der letzten größeren baulichen Anlagen auf dem ehemaligen Gelände der Anhalter Bahn stellte das Gebäude des Zollpackhofs einen wichtigen Sachzeugen der Eisenbahngeschichte Berlins dar.
Doch trotz seiner Bedeutung und der Lage unmittelbar am Beginn der unter Denkmalschutz stehenden Yorckbrücken, mit denen er das ehemalige Bahngelände auch im süd-östlichen Teil in seinen äußeren Konturen erlebbar werden ließ, wurde sein Abriss zugunsten des Baus von Wohnungen verfügt.
Die nachfolgenden Bilder repräsentieren somit ein Stück verlorener Stadt– und Eisenbahngeschichte. Sie mahnen zugleich zu einem bewussten Umgang mit unserem architektonischen Erbe wie auch zu einem genauen Hinsehen. Denn nur, was wir wirklich kennen, ist es uns auch Wert, dass wir es erhalten.
| Der Kopfbau an der Ecke Yorck- und Möckernstraße.
| Der Zollpackhof an der Yorck- Ecke Möckernstraße
Für viele ist die Beschäftigung mit Architektur und deren Geschichte im hektischen Alltag nicht immer möglich. Doch brauchen wir uns dann nicht zu wundern, wenn wir eines Tages nur durch Straßen mit eintönigen Rasterfassaden gehen. Ich schreibe daher in dem Bewusstsein, dass sich so mancher vielleicht doch ein wenig Gedanken um sein Umfeld macht.
Da bislang nur wenig über die vorhergehende Nutzung (u. a. durch die auch für den Bahnhofsbau bedeutsamen Greppiner Werke) des späteren Grundstücks des Zollpackhofs bekannt geworden ist, soll hier erstmals anhand der Bauakte des Bezirksamtes auch auf diesen Aspekt näher eingegangen werden.
Die erstmalige umfassende Dokumentation des Zollpackhofs und seiner Geschichte war Anlass für die Redaktion der seit über 60 Jahren bestehenden Fachzeitschrift "Berliner Verkehrsblätter", den Artikel "Der Zollpackhof der Anhalter Bahn" in ihrer Septemberausgabe 2017 zu übernehmen.
Vorgeschichte2
Durch das stetig wachsende Personen- und Güteraufkommen konnte selbst der in seiner Organisation für die damalige Zeit fortschrittliche erste Bahnhof der Anhalter Bahn in Berlin den steigenden Anforderungen an die Eisenbahn und ihrer baulichen Anlagen nicht mehr genügen.
Dieser in den Jahren 1839 - 41 errichtete erste Bahnhof, für den extra ein Stadttor in die Berlin noch umschließende Zoll- und Akzisemauer gebrochen werden musste, wies mit seiner Trennung des Personen- vom Güterverkehr erstmals ein neuartiges Konzept auf, das für alle späteren Bahnhofsbauten beispielhaft sein sollte.
Als Haupthindernis einer einfacheren Erweiterung der bestehenden Bahnhofsanlagen hatte sich vor allem die im Straßenniveau verlaufende Gleisführung erwiesen, die nicht nur den steigenden Wagen– und Fuhrwerksverkehr, sondern auch die Schifffahrt auf dem benachbarten Landwehrkanal durch die in Höhe der Uferkante liegende Drehbrücke und deren Mittelpfeiler nachhaltig störte.
Als ausgesprochen ungünstig hatte sich auch die beim Ausbau des alten Landwehrgrabens zum schiffbaren Kanal (1845-1852) getroffene Maßnahme erwiesen, die Gleisanlagen der an der damaligen "Straße nach dem Exercier- Platz" (heute Möckernstraße) liegenden Güterabfertigung und die des Personenverkehrs im Bereich der neuen Schifffahrtsstraße zusammenzufassen, so dass nur noch der Bau und Betrieb einer wenn auch nun doppelgleisigen Drehbrücke notwendig war.
| Das Gelände des Ersten Anhalter Bahnhofs. Links oben der Askanische Platz mit dem Empfangsgebäude und den jenseits des Landwehrgrabens über eine Drehbrücke der Fa. Borsig erreichbaren Anlagen für die Lokomotiven- und Wagenbehandlung. Am oberen Bildrand an der "Straße nach dem Exercier-Platz" (später Möckernstraße) liegen die beiden Schuppen und Ladegleise der Güterabfertigung, für die ebenfalls eine Drehbrücke (gleichfalls Fa. Borsig) errichtet wurde. Aus: Notiz-Blatt des Architekten-Vereins zu Berlin, 1843.
| Der 1878 errichtete Zollschuppen des neuen Anhalter Güterbahnhofs (Rot markiert). Links unten sind die beiden heute durch das Deutsche Technikmuseum genutzten Schuppenreihen erkennbar. Am oberen Rand des Güterbahnhofs verläuft die Möckernstraße, an der sich auf dem niedriger gelegenen Vorgelände u. a. ein Kornspeicher befindet. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
Die Arbeiten zum Neubau des Anhalter Bahnhofs, für die man den Architekten Franz Heinrich Schwechtens sowie den Ingenieur Heinrich Seidel gewinnen konnte, begannen ab Herbst 1872 mit der Aufschüttung eines Hochplateaus, vom dem aus nun kreuzungsfrei die Uferstraßen am Landwehrkanal überquert werden konnten. Zugleich wurden auch die Fundamente der über die Yorckstraße führenden Brücken der Anhalter Bahn angelegt, die mit der Höherlegung der Bahntrasse erst notwendig wurden.
Einer völligen Umgestaltung wurden auch die Güteranlagen der Anhalter Bahn unterzogen. Zwar blieben diese durch die Vorgabe der Altanlage auf der östlichen Seite der Bahntrasse und damit weiterhin im Bereich der Möckernstraße — nun allerdings auf der anderen Seite des Landwehrkanals, wo ein völlig neuer Güterbahnhof entstand.
Nur wenige Schuppen hatten sich zuvor auch auf dieser Seite des Kanals befunden, für deren Erhalt man einen schmalen Streifen unmittelbar neben der Möckernstraße auf Höhe des Straßenniveaus beließ.
Die neuen Güteranlagen mit ihrem heute durch das Deutsche Technikmuseum genutzten markanten Gebäude wurden 1878 durch einen einfachen Zollschuppen ergänzt, der sich hinter den neuen Anlagen etwa in der Mitte des Güterareals befand.
Im Lauf der Zeit kam es auch auf den niedriger gelegenen Vorgelände entlang der Möckernstraße zu Veränderungen. So siedelten sich dort u. a. Firmen wie Orenstein & Koppel oder Siemens an, die hier ihre Lagerplätze unterhielten. Einer der langfristigen Mieter der dortigen Schuppenanlagen waren die seinerzeit wegen der hohen Qualität ihrer Ziegelsteine und Terrakotta- Schmuckelemente berühmten Greppiner Werke, die bereits vor dem Bau der neuen Bahnhofsanlagen an der Möckernstraße 32 einen Lagerplatz samt Bürogebäude und Stall unterhielten.
Mit dem Beginn der Bauarbeiten zum Neubau des Anhalter Bahnhofs jedoch, an dem auch die Greppiner Werke wesentlich beteiligt waren, wurde das Büro samt Stallungen 1874 an die Ecke zur Yorckstraße verlegt. Baulichkeiten, die ab 1882 durch das Steinmetzunternehmen "C. Schilling" genutzt wurden. Schilling gehörte zu den namhaftesten Unternehmen seiner Art. So war bereits Carl Schillings Vater, Matthias Carl Schilling (1851-1909), am Bau des Reichstagsgebäudes ebenso beteiligt wie an dem des Wertheim-Warenhauses Leipziger Platz oder am Berliner Dom.
Kurz nach der Jahrhundertwende begann man damit, die auf dem Hochplateau befindlichen Gleisanlagen in östlicher Richtung um spezielle Ladegleise, z. B. für Frischmilch, zu erweitern. Hierfür musste nun auch der Bereich entlang der Möckernstraße aufgeschüttet und mit hohen Stützmauern abgefangen werden. In diese Zeit fällt auch der Bau des neuen Zollpackhofs, welcher ab 1905 auf dem sich an die Möckernstraße anschließenden, zuvor von der Fa. Schilling genutzten Gelände an der Yorckstraße errichtet wird.
| Bauantrag vom 18.7.1874 für die Versetzung des "Comptoirgebäudes" (Bürogebäude) sowie eines Stalls der Greppiner Werke von der Möckernstraße 32 auf das Grundstück Möckernstraße 52 Ecke Yorckstraße. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Fassadenansicht des "Comptoirgebäudes" (Bürogebäude) der Greppiner Werke. Eingetragen sind die bei der Neuaufstellung geplanten Veränderungen (Rot). Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Querschnitt des Stallgebäudes der Greppiner Werke. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Querschnitt des "Comptoirgebäudes" (Bürogebäude) der Greppiner Werke. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Grundriss des Stallgebäudes der Greppiner Werke. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Fassadenriss des Stallgebäudes der Greppiner Werke. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Grundriss des Stallgebäudes der Greppiner Werke. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Bauantrag vom 18.7.1874. Grundriss des "Comptoirgebäudes" (Bürogebäude) der Greppiner Werke. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
Bau3
| Fassadenriss des Zollpackhofs. Bemerkenswert ist die architektonische Ausführung des Gebäudes samt hohen Satteldach und Ziertürmchen. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
Nach der Höherlegung des Bahnareals entlang der Möckernstraße begann im Jahre 1905 der Bau des Zollpackhofs, welcher bis 1907 an der Ecke zur Yorckstraße errichtet wird. Die hier ansässige Steinmetzfirma C. Schilling erhält als Ersatz ein neues Grundstück an der Ringbahnstraße 40 in Tempelhof, wo mehrere Hallen nach dem neuesten technischen Stand entstehen. Hierzu gehören u. a. mehrere Portalkräne und der damals für größere Unternehmen fast selbstverständliche Anschluss an die Eisenbahn.
Der Entwurf des Zollpackhofs stammte vom namhaften Berliner Regierungs - Baumeister Karl Conelius (1868 —1938), welcher im Auftrag der Königlichen Eisenbahn - Direktion Berlin zuvor bereits den Bahnhof Yorckstraße (1902 - 1903 ) an der heutigen S2/ S25 errichtet hatte. Der neue Zollpackhof bildete damit den Auftakt zu einem in gleicher Stilistik entworfenen Ensemble, zudem - neben den Eisenbahnbrücken und dem Empfangsgebäude des Bahnhofs Yorckstraße - auch das benachbarte, heute durch die bekannte Gaststätte "Zum Umsteiger" genutzte Wohnhaus gehörten.
Neben der Rücksichtnahme auf die architektonische Gesamtwirkung aller bisher errichteter Bahnanlagen im Bereich der Yorckstraße meisterte Cornelius aber auch die Herausforderung, das Bahn- und Straßengelände des Zollpackhofs jeweils auf unterschiedlichem Höhenebenen lagen. Während sich im Bereich des 1. OG auf Grund der Hochlage des Eisenbahngeländes die Ladegleise und Rampen des Bahnanschlusses befanden, erfolgte die Umladung in Fuhrwerke und Lastkraftwagen im Erdgeschoss auf Höhe der Yorckstraße.
| Lageplan und Grundriss des 2. OG Zollpackhofs. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Grundriss 1. OG des Zollpackhofs. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Giebelansicht des Zollpackhofs. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Fassadenriss des Giebels des Zollpackhofs. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
| Grundriss des 1. OG sowie Querschnitte des Anbaus des Zollpackhofs. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.
Erweiterung4
Die vorhandenen Unterlagen sind lückenhaft, nur wenige Bilder existieren. Bekannt ist jedoch, dass das Gebäude in den Jahren 1910 und 1922 erweitert wurde. Die nebenstehende Zeichnung bildet damit den einzigen Beleg für die Erweiterung des Gebäudes im Jahre 1910.
Im Zweiten Weltkrieg wurde auch der alte Zollpackhof schwer beschädigt. So wurden die oberen Stockwerke einschließlich des gewaltigen Dachaufbaus fast zur Gänze zerstört.
Übrig blieben allein bauliche Reste des Erdgeschosses sowie der Kopfbau an der Ecke zur Möckernstraße.
| Erweiterung von 1910. Grundriss des 1. OG sowie Querschnitte des Lageranbaus einschließlich Erweiterungen. Bauaktenkammer des BA Kreuzberg.