Ein Bau der Superlative
Warenhaus Wertheim
Leipziger Platz
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1 | Ein unverhoffter Fund im eigenen Bücherregal
Bild und Text: Lutz Röhrig
Es ist interessant, was man bisweilen so in seinen Bücherregalen findet. So wie in diesem Fall, als eine alte Werbebroschüre des Kaufhauses „Wertheim Leipziger Platz“ eher zufällig wieder zu Tage trat. Nicht irgendein billiger Nachdruck, sondern ein kostbares Original, dem man vor Jahren einmal eher zufällig auf einem der vielen Trödelmarkt begegnet ist.
In den üblichen Architekturberichten kann man zwar viel über die äußere Architektur des Riesenbaus lesen, jedoch über die inneren Räumlichkeiten bis hin zur Feuermeldezentrale oder den Banktresoren erhält man nur wenig Auskunft. Daher sei hier diese Broschüre näher vorgestellt - ergänzt um den Planungs- und Bauablauf des größten Warenhauses Europas sowie der wechselvollen Geschichte des einstigen Wertheim - Areals nach dem Krieg bis hin zum Bau der "Mall of Berlin".
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2 | Planung und Bau des Warenhauses
1897 begann man in der Leipziger Straße 132-133 mit dem Bau eines in seinen Dimensionen neuartigen Warenhauses. Bereits im Jahr zuvor hatte Georg Wertheim das Grundstück in der Leipziger Straße für 4,5 Millionen Mark erworben, für dessen Bebauung er den Architekten Alfred Messel, enger Freund des Berliner Stadtbaurats Ludwig Hoffmann, gewinnen konnte.
Die Fertigstellung des fünf Geschosse umfassenden Gebäudes erfolgte bereits 1897. Es erregte durch seine Größe ( rund 3770 qm, Lichthof zusätzlich 456,75 qm) und dem baukünstlerischen Aufwand derart viel Aufsehen, das Messel künftig zu einem der gefragtesten Architekten wurde.
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3 | Zweiter, dritter und vierter Bauabschnitt
Unmittelbar nach Fertigstellung des 1. Bauabschnittes begann man mit den Erweiterungsarbeiten auf den Nachbargrundstücken in der Leipziger Straße 134-135 und in der Voßstraße 31-32 (rund 4000 qm ). Architekt des im Jahr 1900 eröffneten zweiten Bauabschnitts war auch hier Alfred Messel.
Nachdem es gelungen war, 1902 auch die Grundstücke Leipziger Straße 136-137 / Leipziger Platz 12 zu erwerben, begann Messel mit der Errichtung des berühmten Eckbaus am Leipziger Platz. 1904 konnte dieser dritte Bauabschnitt, der auch das Grundstück Voßstraße 26-30 (Fertigstellung hier jedoch erst 1905) umfasste, abgeschlossen werden (rund 3500 qm).
1909 begannen die Planungen für einen vierten Bauabschnitt (Leipziger Straße 126-130, 3100 qm), die auf Grund des Todes von Alfred Messels öffentlich ausgeschrieben worden waren.
Der Sieger der Architektenkonkurrenz wurde jedoch bei der Ausführung nicht berücksichtigt, stattdessen erfolgte diese durch Heinrich Schweitzer, welcher in der inneren Organisation wie äußeren Gestaltung den Vorgaben Alfred Messels folgte.
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4 | Fünfter Bauabschnitt und kaiserliche Ehrung
Ein letzter, fünfter Bauabschnitt folgte im Jahr 1927, für den das Architekturbüro Schmohl & Kolb verantwortlich war. Die baukünstlerische Beratung erfolgte durch Ludwig Hoffmann.
Dieser größte Kaufhausbau Europas trug auch viel zum gesellschaftlichen Aufstieg der Kaufmannsfamilie Wertheim bei, der 1910 auch Kaiser Wilhelm II. durch einen Besuch des Warenhauses am Leipziger Platz seinen Tribut zollte.
Eine angesichts der jüdischen Religionszugehörigkeit der Familie Wertheim keineswegs selbstverständliche Geste, die auf Vermittlung Alfred Messels zustande kam.
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5 | Repressalien und die Umwandlung in die AWAG
In den 1930er Jahren begann der Boykott jüdischer Geschäfte, der auch vor den Kaufhäusern der Familie Wertheim nicht Halt machte.
Zum 1. Januar 1937 trat Georg Wertheim zwangsweise aus dem nun als „arisch“ erklärten Unternehmen aus, das in „AWAG“ (Allgemeine Warenhandels- Gesellschaft) umbenannt worden war.
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6 | Krieg und Nachkriegszeit
Ab 1943 wurde das Wertheimkaufhaus am Leipziger Platz mehrfach von Bomben getroffen, bis es 1944 schließlich vollständig ausbrannte. Nach dem Ende des Krieges lag die noch immer eindrucksvolle Ruine im östlichen Teil Berlins. 1948 wurde Wertheim nach den Repressalien der NS - Zeit ein zweites Mal enteignet, diesmal vom Ostberliner Magistrat.
Angesichts der Lage im Sperrgebiet hart an der Grenze zum West - Berliner Bezirk Tiergarten verzichtete man hier auf einen - durchaus möglichen – Wiederaufbau. 1955 erfolgte der weitgehende Abbruch der Ruine. Eine Kaufhauslegende verschwand damit - bis auf die ehemaligen Tresorräume der Wertheim - Bank - für immer.
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7 | Das Grundstück nach 1990
Nach der Wiedervereinigung Berlins sah sich zunächst der Bund als Eigentümer des ehedem im Sperrgebiet liegenden Wertheim -Areals sowie des benachbarten Lenné - Dreiecks, die dieser über die Treuhand selbst entwickeln wollte. Gegen die Ansprüche des Bundes erhoben jedoch die Erben der Familie Wertheim Einwände, denen die Grundstücke 1939 durch den NS -Staat entzogen worden waren. Der Bund trat 2003 schließlich von seinen Ansprüchen zurück.
Das Land Berlin übertrug das einstige Wertheim - Areal sowie benachbarte Flächen am Potsdamer Platz nun an den Hertie - Konzern. Erste Überlegungen, auf dem ehem. Wertheim - Areal erneut ein Warenhaus zu errichten, zerschlugen sich jedoch mit der Übernahme der Hertie - Gruppe durch den Karstadt - Quelle - Konzern (Arcandor).
Arcandor sah sich in der Rechtsnachfolge der Hertie - Gruppe. So wurde von dieser das Lenné - Dreieck an den Metro - Eigentümer Otto Beisheim für 143 Millionen Euro verkauft. Das ehemalige Wertheim - Grundstück blieb jedoch zunächst weiterhin im Besitz des Konzerns.
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8 | Der Rechtsstreit mit den Wertheim-Erben
Gegen die Inbesitznahme der Grundstücke am Potsdamer- und Leipziger Platz durch die Arcandor - Gruppe erhoben auch hier die Erben der Familie Wertheim ihre Einwände.
Es begann in der Folge ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen den Wertheim - Erben und der Arcandor - Gruppe, welcher schließlich - nach einem ersten Gerichtsurteil - in einer außergerichtlichen Einigung unter Vermittlung des ehem. Kanzlers Helmut Kohl sowie des Direktors der Jewish Claims Conference, Roman Heller, 2007 beigelegt werden konnte. Arcandor verpflichtete sich zu einer Zahlung von 88 Millionen Euro an die Wertheim - Erben sowie der Rückübertragung des ehem. Wertheim - Areals an die Wertheim - Erben.
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9 | Die Neubebauung des ehem. Kaufhaus-Areals
Nach dem Verkauf der Grundstücke durch die Wertheim - Erben in einem Bieterverfahren, bei dem 2006 die Orco - Gruppe als Sieger hervorging, lobte die Senatsbauverwaltung zusammen mit den neuen Eigentümern einen städtebaulichen Wettbewerb aus.
2008 wurden erstmals die aus dem Wettbewerb hervorgegangenen Bebauungspläne für das alte Wertheim - Areal vorgestellt. Der Architekt Jan Kleihues hatte die Jury mit seiner Idee überzeugt, auf dem Gelände ein komplexes Bauwerk mit Läden, Büros und Wohnungen zu errichten.
Geplant war hier u. a. ein komplexes Einkaufszentrum mit insgesamt rund 70000 qm Verkaufsfläche und damit erheblich mehr als die Potsdamer Platz Arcaden mit ihren 40000 qm. Auch die Idee einer offenen Promenade gegenüber dem Bundesratsgebäude überzeugte die Stadtplaner. Mit in den Komplex integriert wurden einige Altbauten entlang der Leipziger Straße, in denen u. a. auch Wohnungen vorgesehen waren.
Doch im Zuge der seinerzeitigen Finanzkrise geriet die Orco - Gruppe in Schwierigkeiten, das Projekt kam zum Stillstand. 2009 erwarb der Investor Harald Huth die Grundstücke . An dem zuvor aus dem Wettbewerb hervorgegangenen Bebauungsplan jedoch konnten nur noch wenige Änderungen vorgenommen werden. So wurde auch die nun als "Piazza" bezeichnete Passage vis-à-vis des Bundesrates in seinem als "Mall of Berlin" benannten Einkaufscenter- Projekt umgesetzt. 2014 erfolgte schließlich die Fertigstellung.
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10 | Feuerwache, Autopark und die Wertheim-Bank
Das Wertheim - Kaufhaus besaß mehrere Restaurants und Konditoreien, in denen sich die Kunden ein wenig entspannen konnten. Für die Sicherheit sorge die Hauseigene Feuerwache. Eine Besonderheit in der damaligen Zeit war die Parkmöglichkeit im sog. "Autopark" für die durchaus zahlreichen Kunden, die mit dem Auto angereist kamen.
Ein besonderer Service war die Hauseigene Bank, in welcher nicht nur die üblichen Bankgeschäfte getätigt werden konnten, sondern in der im Keller befindlichen "Silberkammer" auch Wertgegenstände sicher aufbewahrt wurden. Die Überreste der Wertheim - Bank sollten nach Kriegszerstörungen und dem Abbruch der Ruine 1955/56 durch die DDR als einziger Teil des riesigen Kaufhauses die Zeiten überdauern. Nach der Wiedervereinigung befand sich hier von 1991 - 2005 der legendäre Techno - Club "Tresor". Im Zuge der Neubebauung des Grundstücks durch die "Mall of Berlin" erfolgte jedoch der Abbruch dieses letzten Zeugnisses des Kaufhauses der Superlative.