Straße zum Löwen Nr. 1 in Wannsee
Sommervilla der Kolonie Alsen
Straße zum Löwen
Nr. 1 in Wannsee
Conrad1
1 | Wilhelm Conrad und die Kolonie Alsen
Bild und Text: Lutz Röhrig
Im Sommers 2021 zog es mich mit der Kamera zum Wannsee, um Fotos von einem der letzten Gebäude aus den Anfangstagen der Villenkolonie Alsen zu machen. Von ehedem 14 Sommervillen waren zu diesem Zeitpunkt nur 6 erhalten, von denen die Villa an der "Straße zum Löwen" Nr. 1 (1871) im Jahr 2021 kurz vor dem Abbruch stand. Damit sollte ein weiteres eigentlich erhaltenswertes Gebäude der Kolonie wegen in der Vergangenheit erfolgter Umbauten abgerissen werden - eine nicht unumstrittene Begründung der Denkmalbehörden, die zuvor bereits schon den Abbruch der Villa Poelzig in Westend ermöglicht hatte.
Carl Heinrich Wilhelm Conrad (1822–99) war ein leidenschaftlicher Naturliebhaber. Zu seinen Lieblingsorten gehörte dabei die durch den Selbstmord von Kleist bekannt gewordene Gaststätte "Stimmings Krug" welche direkt hinter der heutigen Wannsseebrücke auf der Insel Wannsee lag. Obwohl seinerzeit außer der Kutsche keine weiteren Verkehrsmittel zur Verfügung standen, jenen weit von den Toren Berlin entfernten Ort zu erreichen, beschloss Conrad hier eine Sommervillen-Kolonie zu begründen. Zum Lokal gehörten umfangreiche Ländereien, die Conrad noch um weitere Wald- und Grundstücke ergänzte. Als leitender Direktor der "Berliner Handelsgesellschaft" besaß er hierzu die notwendigen finanziellen Mittel.
| Veränderungen sind natürlich im Laufe der Zeit an der 1871 entstandenen Sommervilla vorgenommen worden. So erhielt das Gebäude etwa den rechts zu sehende Anbau, neue Fenster, ein verändertes Obergeschoss oder die vorgelagerte Terrasse. Doch ob man die einstige Sommervilla angesichts der geringen Zahl an erhaltenen Ursprungsbauten der Kolonie Alsen jedoch deshalb zum Abbruch freigeben sollte, statt etwa eine vorsichtige Rekonstruktion einzufordern? Eine insbesondere auch im Hinblick auf künftige Fälle vieldiskutierte Fragestellung.
| Nahansicht der Straßenseite der einstigen Sommervilla. Trotz aller Umbauten und Ergänzungen blieben viele Details erhalten.
Für die Parzellierung des Koloniegeländes und der allgemeinen gärtnerischen Gestaltung bestellte Conrad keinen Geringeren als den städtischen Gartenbaudirektor Berlins, Gustav Mayer, einem Schüler Peter Joseph Lennés. Ein Aufwand, der sich angesichts des Ergebnisses auch auszahlen sollte...
Für sich selbst ließ Conrad Stimmings Krug abreißen und an seinem einstigen Lieblingsort 1870 die erste Villa der Kolonie erbauen. Weitere Villen entstanden entlang des Ufers des großen und kleinen Wannsees, die Carsten an wohlhabende Berliner vermietete. Praktischerweise war Conrad Vorsitzender des wohl exklusivsten Clubs in Berlin, dem „Club von Berlin“, in dem reiche Künstler, Bankiers, industrielle und Minister verkehrten. Die Grundstücke wurden ein Verkaufsschlager.
1872 erhielt die Kolonie auf Vorschlag von Conrads Schwager den Namen „Alsen“, nach einer Insel in Dänemark, an dem preußische Truppen einige Jahre zuvor den Sieg im Deutsch-Dänischen Krieg errungen hatten. Aus dieser patriotischen Begeisterung heraus ließ Conrad auch eine Kopie des Idstedter Löwen anfertigen, welcher bis heute, wenn auch nicht mehr am Ende der "Straße zum Löwen" über den Wannsee blickt.
Da die neue Kolonie jedoch weit abseits vor den Toren Berlins und auch Potsdams lag, stellte die verkehrliche Erschließung in jener noch autofreien Zeit ein besonderes Problem dar. Es traf sich daher gut, dass Wilhelm Conrad zugleich auch dem Aufsichtsrat der Berlin-Potsdam-Magdeburger-Eisenbahn angehörte.
So setzte sich Conrad dafür ein, das vom Bahnhof Zehlendorf der Potsdamer Bahn eine neue zusätzliche Strecke über Schlachtensee nach Wannsee (damals noch „Wannensee“, ab 1878 dann „Wannsee“) und weiter nach Potsdam entstand, welche am 1. Juni 1874 eröffnet wurde. Berlin konnte nun in rund 30 Minuten erreicht werden- und auch Potsdam lag somit in relativer Nähe. Angesichts des Aufwandes und der Fahrt durch weitgehend unbebautes Gelände sprach man damals jedoch von der „Wahnsinnsbahn auf Conrädern.“
Nichts desto trotz, die Kolonie prosperierte. 1872 lebten 64 Bewohner während der Sommermonate in zwölf Villen, 1890 waren es bereits 189 Personen. Erst etwa ab 1900 wurden die Villen mit Heizungen und Doppelkastenfenstern versehen, um eine dauerhafte Bewohnung der Gebäude zu ermöglichen. Die Liste der Namen der Prominenten, die sich hier im Laufe der Jahrzehnte eine Villa zulegten, ist beeindruckend: Ob Maler wie Max Liebermann, die Verleger Fritz und Ferdinand Springer, Industrielle wie Franz Oppenheim oder Arnold von Siemens oder dem Kaufhausbesitzer Adolf Jahndorf – die Kolonie wurde zum Wohnort der Prominenz.
| Gartenseite der Sommervilla. Auch hier blieb vieles erhalten - wenn auch Veränderungen insbesondere im Obergeschoss wahrzunehmen sind.
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| Die seitliche Perspektive lässt einen Blick die der Straße abgewandten Seite des Gebäudes zu.
2 | Das Haus in der "Straße zum Löwen" Nr. 1
Doch zurück zu den Anfangsjahren. In der ersten Zeit hielt man sich, wie von Conrad geplant, nur während der Zeit der „Sommerfrische“, wie der sommerliche Urlaub damals genannt wurde, in den Villen am Wannsee auf. Um den künftigen Bewohnern einen Aufenthalt in Wannsee schmackhaft zu machen, entstanden 14 von im Vergleich zu den Villen der späteren Zeit fast bescheiden anmutenden Musterhäusern, in denen Kaufwillige zunächst probewohnen konnten.
1871 - und damit noch vor der Fertigstellung der Eisenbahnverbindung nach Wannsee - entstand vor diesem Hintergrund auch die Villa an der "Straße zum Löwen" Nr. 1, die zunächst tatsächlich zum Denkmal des später nach Heckeshorn versetzten Löwendenkmals führte.
Somit blieben bei einem Abbruch dieses Gebäudes im Jahr 2021 von den ersten Sommervillen der Kolonie heute nunmehr nur noch 5 erhalten. Ein viel diskutierter Vorgang, hatten sich doch zuvor Anwohner, Architekturinteressierte und ein Heimatmuseum für den Erhalt der Villa als eines der letzten baulichen Zeugnisse aus den Anfangsjahren der Kolonie Alsen eingesetzt.
Doch die Denkmalbehörden sahen die Sache indes anders. Es habe im Laufe der Jahrzehnte Veränderungen gegeben, das Gebäude sei somit nicht mehr im Originalzustand. Eine Begründung, die schließlich zum Abbruch des Gebäudes führte.
Letztlich ist jedes Gebäude, sei es nur alt genug, durch seine Nutzung verändert worden. Ist aber nicht gerade das Ablesen der diversen Nutzungsschichten eines Gebäudes ein herausragendes Merkmal eines Baudenkmals? Manche Gebäude haben eine Wichtigkeit, die selbst durch größere Umbauten nicht aufgehoben werden kann, nicht aufgehoben werden sollte. Denn selbst, um im Beispiel zu bleiben, eine im Detail veränderte Villa lässt immerhin noch den Charakter der ersten Koloniebebauung erahnen – mehr jedenfalls, als ein an seiner Stelle tretender moderner Neubau. Eine im Hinblick auf künftige Fälle vieldiskutierte, noch zu beantwortende Fragestellung.
Seit Jahren plädiert Zeit für Berlin für den Erhalt auch solcher Bauten, die zwar keinen offiziellen Denkmalschutz genießen, aber dennoch erhaltenswert sind. Sie alle finden ihren Platz in der „Roten Liste“ bedrohter Berliner Bauten. Eine Liste, die in Zusammenarbeit mit den Denkmalbehörden und dem KulturerbeNetz.Berlin entstand.
| Fast im Originalzustand blieb das Gartenhäuschen erhalten.