Privates Museum für Tierkunde
Marienfelde Hranitzkystraße
Topanker
Entdeckung1
Marienfelde ist ein Stadtteil der vielen Entdeckungen. Denn so manches erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick. Und so fiel auch mir erst nach vielen Spaziergängen mit der Kamera jener wunderbare, etwas versteckt hinter hohen Bäumen und Sträuchern liegende expressionistische Backsteinbau in der Hranitzkystraße 3 auf, welcher mit all seinen für die Mitte der 1920er Jahre typischen Zutaten nahezu unverändert erhalten geblieben ist. Ich gebe zu, hier geht das Herz eines Architekturkenners auf, denn auch Marienfelde hat einen Teil seines gebauten Erbes durch Krieg oder Abriss einbüßen müssen.
Doch die eigentliche Entdeckung war jenes unauffällige Schild am Gartenzaun, das dezent auf Öffnungszeiten für ein "Privates Museum für Tierkunde Berlin" (PMTB) hinwies. Ein Tierkundemuseum hier in Marienfelde? Meine Neugier war geweckt. Ich beschloss, mit meiner Partnerin und unserem Jüngsten dem Rätsel auf die Spur zu kommen.
| Das in den 1920er Jahren errichtete Haus Hranitzkystraße / Kirchstraße. Der Eingang zum Tierkunde - Museum liegt links in der Hranitzkystraße.
| Expressionistische Fassadendetails, wie ich sie liebe. Die durch das Bauhaus inspirierte Vergitterung der Erdgeschossfenster, die Betonung dieser Fensterzeile durch vorstehendes Klinkermauerwerk - ach, wäre es doch nur so, dass solche Details überall erhalten blieben.
| Gartenseite mit Abgang zu den Tiergehegen. Blick in den Eingangsbereich. Typisch für die 1920er Jahre sind die kubischen Formen, aus denen das Gebäude zusammengesetzt scheint. Der Zugang aus der Hranitzkystraße zum Museum für Tierkunde erfolgt von rechts.
| Der Eingang aus der Hranitzkystraße zum Museum für Tierkunde. Markus scheint die Tür für mich aufzuhalten - oder schnell vor mir zu verschließen. Dieser Spaßvogel... An dem etwas hellerem Mauerwerk der Fensterachsen ist zu erkennen, das einst die ehem. Veranda mit Bodenhohen Türen versehen war. Ja, ich kann nicht anders, mir fällt so etwas gleich auf...
Einige Zeit später stand dann unser kleiner Trupp vor dem Einfamilienhaus in der Hranitzkystraße. Was uns wohl erwarten würde? Unser Blick fiel auf ein paar ungewöhnliche Haushühner, die sich im Vorgarten zu schaffen machten. Tolle Exemplare einer eher selten gezeigten Rasse. Schnell die Stufen zum Eingang hoch, nun wollten wir natürlich noch mehr sehen. Die Begrüßung am Empfang war mehr als freundlich, sofort wurden uns ein paar riesige Gespenstheuschrecken gezeigt, denen ich gern auf meinem Arm ein wenig Auslauf verschaffte.
Auch unser Jüngster, sonst mehr der Online - Welt verbunden, war begeistert. Insekten zum Anfassen, das gibt es sonst in keinem Zoo. Auch die Vitrinen mit "tierischen Einwanderern" oder längst ausgestorbenen Tierarten faszinierten. Vögel wie den ca. 1m großen Dodo (Dronte), die kannte Markus zuvor nur aus meinen Geschichten. Der Dermoplastiker E. H. Radtke (1941-1993) hat den Dodo und andere ausgestorbene Tierarten meisterhaft für das Museum rekonstruiert.
| Direkt neben dem Eingangsbereich geht es in den ersten Raum. Kängurus, Goldfasane usw. Sie alle wurden vom Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen nach Europa importiert. Einige blieben.
| Auch die nächste Vitrine beschäftigt sich mit dem Thema "tierische Einwanderer". Neben bekannten Importen wie dem amerikanischen Waschbären zählen zu den Einwanderern aber auch die Haustaube oder der Fasan.
Am interessantesten waren für unseren Jüngsten, nach dem er eine Bartagame streicheln durfte, die Außengehege. Wasserschildkröten, denen er Futterpellets zuwerfen konnte, Hühner, die er füttern durfte - all das, was man heutzutage in der Großstadt und selbst im Umland nicht mehr so ohne Weiteres erleben kann. Anerkennend meinte er am Ende des Besuchs, dass der Mitarbeiter aber "sehr nett" gewesen sei.
Dem kann ich nur zustimmen. Man merkt, das Kindergartengruppen und Schulklassen zu den hauptsächlichen Besuchern zählen. Aber auch auf meine Fragen zur Geschichte des "Privaten Museums für Tierkunde" wie auch des expressionistischen Einfamilienhauses ging der Mitarbeiter gerne ein.
| Ach, diese alten Scherengitter aus alter Zeit... Rechts eine heute leerstehende Voliere im Außenbereich.
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| Nachbildung des vor 43 Millionen Jahren ausgestorbenen, in Eurasien und Nordamerika heimischen Diatryma.
Eigentümer des Hauses und des "Privaten Museums für Tierkunde" ist Rolf Rese. Er studierte Biologie und Zoologie. Als Berater und anerkannter Fachmann für Großechsen wurde er oft von Zoologischen Gärten angefordert, so auch vom Zoo Dortmund, dem er sein Tropenhaus einrichten half. Wichtig ist Rolf Rese von Anfang an die pädagogische Vermittlung von Wissen - nicht durch stupides Abgehen von Käfigen, sondern persönlich erklärend und ganz bewusst auch mit haptischen Erleben durch Berühren und Füttern. Ein für die damalige Zeit moderner Gedanke.
1964 legte Rolf Reses Großvater mütterlicherseits, der Lehrer und Schulleiter Fritz Saager (1899-1987), den Grundstock für das PMTB. In jenem Jahr erwarb Saager das Haus an der Hranitzky- Ecke Kirchstraße, in welchem er ab 1967 mit der Tierhaltung begann. Rolf Rese wuchs hier mit den Großeltern, der Mutter und seinem Bruder Dirk zwischen Hühnern, Ziegen und Terrarien auf. 1984 wandelte Rolf Rese das Museum in eine Forschungseinrichtung um.
Neben den Großeltern mütterlicherseits trug aber auch der väterliche Familienzweig zum Bestand des Museums bei. Schließlich war der Großvater von Rolf Rese ein bekannter, zu Wohlstand gelangter Britzer Bauer. Man darf nicht vergessen, dass das Museum ohne jegliche öffentliche Mittel bei freiem Eintritt betrieben wird. Rese geht es allein um die Sensibilisierung insbesondere der Kinder für den Wert der Natur und der Tierwelt sowie dem Erhalt der Artenvielfalt. Eine Haltung, die meinen Respekt verdient.
Der Bestand an Tieren des PMTB wuchs hier und auf einigen benachbarten Grundstücken auf über 100, darunter Ziegen, Hühner, Kängurus und Emus. Mit der Zeit regte sich Widerstand. Krähende Hähne, Dung und der Lärm der Kinder störten die Nachbarn des ruhigen Wohnviertels. Ein 1999 gestellter Bauantrag wurde daher vom Bezirk 2001 abgelehnt. Schließlich mussten größere Tiere wie Ziegen abgegeben und die Öffnungszeiten des PMTB reduziert werden.
Immerhin blieb so die bei Kindergärten, Schulen und Eltern beliebte Einrichtung bis heute erhalten. 2007 übernahm Rolf Rese zudem die Überarbeitung und Pflege der Tiergehege in der Neuköllner Hasenheide. Ich wünsche Herrn Rese und seinen Mitarbeitern für die Zukunft viel Erfolg - auf dass noch weitere Kinder wie unser Markus voller Begeisterung hier auf Entdeckungsreise gehen können.
| Ein inzwischen auch in den Vororten seltener Anblick: freilaufende Hühner.