Eine Berliner Institution
Korsett Engelke
Eine Berliner Institution
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1 | Vorgeschichte. Der Mann mit der Kamera
Bild und Text: Lutz Röhrig
„Das Heute für das Morgen bewahren“, so lautet das Motto meiner Internetseite. Und so war es für meine Partnerin und mich geradezu eine Verpflichtung, kurz vor der Schließung des inzwischen schon legendären Traditionsgeschäftes „Korsett – Engelke“ in der Kantstraße mit der Kamera dort vorbeizuschauen.
Es mutet zwar etwas merkwürdig an, wenn ich als Mann erkläre, dass ich Fotos ausgerechnet von einem Damenunterwäsche- Fachgeschäft machen möchte. Doch dieser Herausforderung stellte ich mich angesichts des guten Rufes des bekannten Geschäftes in der Kantstraße gern – zumal diese Fotos auch die letzten sein werden, die überhaupt noch möglich sind. Wehmut kommt bei dem Gedanken auf, das mit der Schließung von Korsett Engelke ein weiteres etabliertes Geschäft an der Kantstraße verschwindet...
| Geschäftsführerin Antje Fröhlich und ihre Tochter Jasmin. Trotzdem nun bald Korsett Engelke für immer seine Türen schließen wird, war die Stimmung zumindest bei meinem Besuch eine durchaus heitere. Und, ich gebe zu, dass wir hier zwei sehr sympathischen Menschen begegnet sind...
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| Korsagen, Mieder, Büstenhalter. Korsett Engelke war vor allem für die große Auswahl an Übergrößen bekannt, die woanders nicht mehr zu finden waren. Im Hintergrund Frau Antje Fröhlich im Gespräch mit einer Kundin.
2 | Der Besuch
Nachdem ich mich – angesichts der Ware zugegeben etwas umständlicher als sonst üblich - zunächst der Tochter Jasmin und dann der gerade eine Kundin bedienenden Geschäftsführerin Antje Fröhlich, erklärt hatte, weswegen ausgerechnet ich hier ein paar Aufnahmen machen möchte, war es plötzlich gar keine Frage mehr, dass ich ohne Weiteres zur Kamera greifen dürfe. Man sei es in all den Jahrzehnten schließlich gewohnt…
Und gern ließ sich Frau Fröhlich zudem auch zu einem Gespräch über Ihre Beweggründe und der Geschichte Ihres Geschäftes ein, deren Inhaberin zumindest formal noch immer ihre Mutter ist.
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3 | Die Anfänge
Die Anfänge des heutigen Fachgeschäftes gehen zurück bis in die Vorkriegszeit, als der Großvater der heutigen Inhaberin, Karl Engelke, zusammen mit seiner Frau über die Jahrmärkte ging und dort die in ihrer kleinen Werkstatt hergestellten Korsetts und Büstenhalter anboten. Beide ergänzten sich hervorragend: Karl Engelke war Kaufmann, seine Frau gelernte Weißnäherin.
In den beschwerlichen Nachkriegsjahren konnte schließlich 1947 in der Neuköllner Sonnenallee 69 das erste Ladengeschäft eröffnet werden, dem bald weitere Läden in der Brunnenstraße, der Wilmersdorfer Straße und der Kantstraße 109 unweit des heutigen Geschäftes folgten.
| Hier und da finden sich noch Relikte aus dem ersten Laden in der Kantstraße. Medima Angorawäsche im Werbelook der 1970er Jahre...
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| Irgendwie hat die Werbung jener längst vergangenen Epoche der 1970er Jahre ihren besonderen Charme...
4 | Wechsel der Generationen
1974 übergab dann Karl Engelke den zuletzt noch verbliebenen Laden in der Kantstraße 109 seiner Tochter Ursel (später verheiratete Rieck). Die jetzige Inhaberin, Antje Fröhlich, Tochter von Ursel Rieck, nähte zu diesem Zeitpunkt gerade ihre ersten Puppenkleider im Nähatelier des Ladengeschäfts.
Mittlerweile führt Antje Fröhlich nun allein den Laden, der formell jedoch noch immer ihrer Mutter gehört. Besonders gefragt sind Büstenhalter in Übergrößen bis zur Größe 130 H - sonst ein echtes Problem für Damen, denen die Natur ein wenig mehr mitgegeben hat. Die namensgebenden Korsetts jedoch werden heute nicht mehr nachgefragt. Stattdessen werden erotische Korsagen und Unterwäsche für den besonderen Abend zu zweit angeboten – in Qualität und Ausführung weit entfernt vom einfachen Angebot üblicher Erotikläden.
Ganz allgemein wird auf eine gute Beratung Wert gelegt. Damen, die durch ein Mieder oder eine Korsage ihre Figur besonders gut zur Geltung kommen lassen möchten, sind hier ebenso richtig, wie jene, die ein wenig Unterstützung durch entsprechende Unterwäsche benötigen. Eine Seltenheit in Berlin - und ein Segen für all jene, die eben nicht Standardmaße haben. Im Jahr 2013 bekam der alte Laden in der Kantstraße 109 im Rahmen der RTL–Sendung „The Big Idea“ und unter der Schirmherrschaft von Übergrößen–Modell Jordan Carver ein neues Design.
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5 | Der Umzug und das Ende des Kultgeschäftes
Im Jahre 2015 jedoch verlegte Antje Fröhlich das inzwischen zu einem Kultladen gewordene Geschäft zur Kantstraße 103. Die Geschäftsräume waren größer, die Ware konnte für die Kunden gefälliger platziert werden und die neuen Umkleidekabinen sind ein Traum. Leider nicht mit umziehen konnte der alte Neon–Schriftzug über der Schaufensterfront. Die Anlage war technisch veraltet. Der Schriftzug musste daher durch einen neuen, äußerlich dem bisherigen zumindest weitgehend entsprechenden, ersetzt werden.
Vier Jahre nach dem Umzug wird nun das Geschäft aufgegeben. Grund hierfür ist jedoch nicht etwa der Umsatz, der dank Stammkunden, zu denen auch bekannte Schauspielerinnen gehören, weiterhin erfreulich ist, oder steigende Mieten. Die Gründe liegen woanders. Es ist mittlerweile schwierig geworden, geeignete Nachwuchskräfte zu bekommen.
Nach der letzten Enttäuschung hat Antje Fröhlich beschlossen, den Mietsvertrag, welcher sie für weitere fünf Jahre gebunden hätte, nicht mehr zu verlängern. Denn 2020 wird sie 60. Zudem möchte sie ihre erkrankten Eltern pflegen. Dazu kommt, dass nun auch ihr Lebenspartner ins Krankenhaus gekommen ist. Ihren Ehemann hatte sie bereits viele Jahre zuvor bei einem schweren Unfall verloren. So wird am 31. Juli 2019 nun ein weiteres Berliner Traditionsgeschäft für immer seine Türen schließen.
Doch ganz zur Ruhe setzen wird sich Antje Fröhlich nicht. Ihre Jahrzehnte umfassenden Erfahrungen möchte sie gern an andere Gewerbetreibende weitergeben. Darüber hinaus plant sie ein Buch über die Geschichte "der drei Generationen Korsett Engelke" zu schreiben. Ein anspruchsvolles Projekt, dem ich voller Spannung und Erwartung entgegensehe.
Gut ist, dass Antje Fröhlich in den letzten, besonders hektischen Tagen Unterstützung durch Ihre Tochter Jasmin erhalten hat. Und das ist letztlich, was zählt – die Familie. Wer wüsste dies nicht besser als wir mit unseren drei Söhnen…
| Ein letzter Blick ins Schaufenster. Bald wird es leergeräumt sein...
| Ein Bild aus alten Tagen des ersten Geschäftes in der Kantstraße, das nur wenige Meter entfernt von dem zuletzt betriebenen Ladengeschäft lag.
| Nun gehen die Lichter für immer aus. Korsett Engelke hat Geschichte geschrieben - und ist nun selbst Historie. Schade, wieder schließt eines jener traditionellen Geschäfte, dass fast jeder kannte, für immer seine Türen.
| Der neue Laden, der nun auch wieder schließt.
| Das alte, ursprüngliche Ladengeschäft lag nur einige Häuser entfernt.