Siedlung Blankenfelde 1931


Kritik an der "Süd - Berliner Boden A. G."

Karte Blankenfelde

Siedlung Blankenfelde 1931

zeitgenössische Kritik am Bebauungsplan der "Süd-Berliner Boden A. G."

Zum nachfolgenden historischen Artikel

Auch in früherer Zeit gab es gegen Bauprojekte Einwendungen hinsichtlich der Veränderung der Umwelt oder gar deren Zerstörung – auch wenn die Notwendigkeit einer gesteigerten Forcierung des Wohnungsbaues prinzipiell eingesehen wurde. Ein solches, in der Kritik stehendes Bauprojekt war auch die „Großsiedlung Blankenfelde“. 

 

Kritisiert wurden dabei vor allem in der Weimarer Republik - in welche Planung und Start der verstärkten Siedlungstätigkeit in Blankenfelde fallen - der Verbrauch von Landschaft, die Vernichtung von Waldflächen und die Abriegelung von Seen zugunsten der am Ufer entstehenden Parzellen und Grundstücke, so dass sie der Allgemeinheit nicht mehr zur Verfügung stehen. Gefahren, auf die auch Bruno Taut in seinen Vorlesungen und im Schriftwerk „Die kleinste Wohnung“ aufmerksam macht. 

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Das heute noch  erhaltenen ehem. Musterhaus der Gagfah neben der ehem. Brennerei des  "Blankenfelder Schlosses" (Gutshof).

| Auch die Berliner Wohnungsgesellschaft "Gagfah", welche 1934 eine Teilfläche von der Süd-Berlin Boden A. G. erworben hatte, plante zunächst, wie die Süd-Berliner Boden A.G. selbst, den Bau kleiner Zweifamilienhäuser. Dies wird auch an den heute noch  erhaltenen ehem. Musterhaus der Gagfah neben der ehem. Brennerei des  "Blankenfelder Schlosses" (Gutshof) deutlich.


Auf Grund von strikten Materialeinsparungsmaßnahmen entschied sich die Gagfah, statt der ursprünglich geplanten Zweifamilienhäuser immer größere Reihenhausanlagen zu errichten. Die größten Häuser dieser Art stehen bis heute am Brandenburger Platz.

| Auf Grund von strikten Materialeinsparungsmaßnahmen entschied sich die Gagfah, statt der ursprünglich geplanten Zweifamilienhäuser immer größere Reihenhausanlagen zu errichten. Die größten Häuser dieser Art stehen bis heute am Brandenburger Platz. Den ursprünglichen Eindruck - Kopfsteinpflaster, noch ohne "Grüne Passage" - gibt diese Postkarte aus DDR- Tagen wieder.

Der damalige „Candidat der Architektur“ und spätere Stadtplaner Alfred Cuda versucht in seinem hier im Original wiedergegebenen Aufsatz, einen Gegenentwurf zu den Planungen der „Süd-Berlin Boden A.G.“ (eine Tochtergesellschaft der Dresdner Bank) für Blankenfelde zu entwickeln, der den Verbrauch von naturbelassenen Flächen bei gleicher Parzellierungsdichte erheblich reduzierte. Hierbei beruft er sich ausdrücklich auch auf Taut und dessen Vorstellungen hinsichtlich der Großsiedlung Blankenfelde.

 

Die Planungen der „Süd-Berliner Boden A. G.“, die ihr Verkaufsbüro im Inspektorenhaus des von ihr auch erworbenen Blankenfelder Schlosses eingerichtet hatte, sahen dabei lediglich den Bau von Zweifamilienhäusern vor – keinen kompakten Zeilenbau wie in den späteren Jahren durch die „Gagfah“, die 1934 Teilflächen in Blankenfelde von der „Süd-Berlin Boden A. G.“ für die spätere sog. "Gagfah-Siedlung" erwirbt.

 

Der Aufsatz Cudas gibt einen interessanten Einblick in die Planungen und Überlegungen der frühen Jahre des Siedlungsbaus in Blankenfelde wieder.  

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"Die Vernichtung der Heimat"
Eine Kritik der Grossiedlung Blankenfelde bei Berlin.
Von Cand. Arch. Alfred Cuda, Potsdam, 4 Abbildungen
Erschienen 1931 in "Stadt- und Siedlung"

Der folgende Aufsatz stellt einen Teilbetrag der Untersuchungen über Parzellensiedlungen dar, die im Rahmen der geplanten Broschüre „Die kleinste Wohnung“ vom Seminar Professor Bruno Taut veröffentlicht werden. Er hat – auch in den Einzelbetrachtungen des herangezogenen Beispiels – grundsätzliche Bedeutung gegenüber der Art und Weise, wie dem zunehmenden Zug der Großsiedlungsbevölkerung nach kleinen Siedlungsstellen begegnet wird: Durch eine wilde Siedlungsspekulation der Terraingesellschaften, die in ihren verderblichen Folgen der früheren Mietskasernenpolitik kaum nachsteht. Den naturhungrigen Großstädtern nimmt man das Wenige, was ihnen an Schönheiten und Erholungsmöglichkeiten bisher noch geblieben war. Und Wald, Wiesen und Seenufer verschwinden hinter den hohen Drahtzäunen der Parzellenbesitzer, die ihrerseits oft gerade ausgebeutet werden. Von einem organischen Ausgleich zwischen Freiland und Siedlung ist natürlich keine Rede. Und immer wieder findet solch sinnwidriges Vernichtungswerk behördliche Genehmigung!

 

Die Südmark Berlins ist erst am spätesten „entdeckt“ worden. Bis in die jüngste Zeit fand man dort noch unberührte Natur und völlige Einsamkeit. Die typische Diluviallandschaft ist reich an den verschiedenartigsten Naturwerten. Zwischen die hügeligen Ausläufer des Flämings betten sich langgestreckte Rinnenseeketten, ziehen sich die grünen Flächen breitgelagerter Urstromtäler. Das „Seebad Rangsdorf“ erst machte diese Gegend „interessant“. Tausende von Großstädtern, die der Wannseebetrieb dort erfreut, lernten nebenbei das umliegende Gebiet schätzen. Terraingesellschaften waren zuvorkommend genug, um diesen Zug nach dem Süden zu bekräftigen, und so ist es kein Zufall, daß in nächster Nachbarschaft des Rangsdorfer Sees sich große und größte Parzellierungssiedlungen breitmachten.

 

Mit den Schlagworten: „Wohne im Walde“ und „Vor den Toren Berlins, eine halbe Stunde vom Potsdamer Bahnhof“ rührt die Großsiedlung Blankenfelde die Werbetrommel. Der Verkauf des Ritterguts Blankenfelde war die Ursache, daß ein mächtiges zusammenhängendes Gelände von rund 330 ha der Spekulation eines privaten Unternehmers anheimfiel. Nur ungefähr 60 v. H. der Gesamtfläche wurden bisher landwirtschaftlich genutzt. Die übrigen 40 v. H. bildeten Wälder und Wiesen.

Ursprünglicher Bebauungsplan der "Süd-Berliner-Boden A. G." für Blankenfelde.
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Die durch den Architekten Cuda verbesserte Planung der "Süd-Berliner-Boden A. G." für Blankenfelde.
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Eine Kritik des Siedlungsplanes der Süd-Berlin Boden A. G. scheint deshalb gefährlich, weil der unvoreingenommene Beschauer, der die örtlichen Verhältnisse nicht kennt, auf den ersten Blick hin städtebauliche Vorzüge zu entdecken glaubt: Es ist ein System nordsüdlich gerichteter Straßen, das an die Dahlewitzer bzw. Zossener Chaussee angehängt ist. Dazwischen ziehen sich langgestreckte Grünstreifen hin, in die die geplanten öffentlichen Gelände eingebettet sind. Die Parzellierung erstreckt sich gleichmäßig über das ganze zum ehemaligen Rittergut gehörige Gelände.

 

Als Maßstab für die Würdigung dieses Entwurfes soll die Grundforderung jeder städtebaulichen Planung, die Erhaltung des vorhandenen Naturbestandes dienen. Danach mußte das ganze Gebiet westlich der Mahlow-Jühnsdorfer Chaussee, das ausschließlich mit Wald bestanden ist, unbedingt von jeder Parzellierung freibleiben. Das gleiche gilt für die charakteristische Zone der Schiefen Berge. Es ist ein geradezu unerträglicher Anblick, den Fortgang der Straßenarbeiten in diesem bewegten Gelände zu beobachten, der bereits in weitem Umfange im Gange ist. Ohne die geringste Rücksicht auf vorhandene Höhenunterschiede stößt man die Straßen durch den Wald. Man ließt noch die abgerissenen Schilder: „Das Betreten der Blankenfelder Forst ist bei Strafe verboten! Die Forstverwaltung“, und daneben werden junge Kieferschonungen mit eingestreuten Laubwaldbeständen wild durchschlagen. Bloßer weißer Sand deckt die lebendige Grasnarbe. Straßenböschungen bis zu 4 m entstehen und spotten jeder natürlichen Erschließung. Grundsätzlich scheinen vorhandene Wege in die Parzellen verlegt zu sein. Dicht daneben zieht man dann unter großen Kosten eine öffentliche Straße.

Der bezeichnendste Fall dieser Art befindet sich an der auf dem Plan mit A bezeichneten Stelle unweit des durch die Dahlewitzer Chaussee symmetrisch zerteilten Rathausprojektes. Hier verläßt man den vorhandenen, sehr reizvoll mit Birken und Akazien bestandenen Jühnsdorfer Landweg ohne jeden äußeren Grund und holzt dafür dicht daneben eine neue Straße in den Wald hinein (Abb. 4). Der Landweg selbst wird Eigentum der Parzellenkäufer. Bereits jetzt ist das erste Grundstück an der bezeichneten Stelle eingezäunt, und mitten auf den Weg ein malerisches Wochenendhaus gestellt.


– Mit der gleichen Liebe ist das Glasowbachgebiet behandelt worden. Nur der glückliche Zufall, daß die Grenze des Rittergutes nicht bis zum Blankenfelder See heranreicht, bewahrte dieses Waldgelände vor dem gleichen Schicksal rücksichtsloser Zerstückelung, wie ihn das östliche Ufer des Sees erfahren hat, daß der Siedlung Dahlewitz anheimfiel. Auch hier wurde außerdem noch der unweit des Ufers sich dahinziehende, baumbestandene Rangsdorfer Weg in die spezielle Obhut weniger Parzellenbesitzer gegeben.

 

Der Gegenentwurf, der für den Mittelteil des Siedlungsgebietes aufgestellt wurde, erhebt keinen Anspruch auf ästhetische Bewertung. Er stellt lediglich ein Schema dar, durch das gezeigt werden soll, wie man die vorhandene Natur im vollen Umfange der Allgemeinheit erhalten kann und außerdem noch an Erschließungskosten spart. Selbstverständlich läßt sich ein Bebauungsplan reizvoller gestalten, wenn man nach Belieben neu anzulegende Grüngebiete einschaltet und vorhandenen Wald, der vielleicht ungünstig in den einmal gefaßten Plan hineinschneidet, kurzerhand mitparzelliert. Die Kosten dieser „Idee“ tragen die Siedler, die kleinen Leute, die jetzt im Zeichen der Notverordnungen eine Parzelle erwerben, um sich gegen Kurzarbeit und Gehaltskürzungen zu behaupten – und daß ein solches Verfahren den Bebauungsplan erheblich verteuert, wird in folgendem zahlenmäßig dargelegt.

Die ersten Siedlungshäuser in Blankenfelde.

| Die ersten Siedlungshäuser auf dem Gelände der "Süd-Berliner-Boden A. G." in Blankenfelde.

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Zerschneidung eines Waldstücks für eine neue Straße in Blankenfelde, 1931
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Der neue Entwurf basiert also auf der hundertprozentigen Erhaltung der vorhandenen Natur. Er versucht, die Hauptblickrichtung von den Höhen im Süden über die ganze Siedlung hinweg bis nach Mahlow durch eine völlig gerade 12m breite Allee, die als Haupterschließungsstraße dient, zu unterstreichen. Er legt die Parzellen ausschließlich an 3m breiten Einbahnstraßen, die in Abständen von durchschnittlich 300m durch 9m breite Sammelstraßen aufgenommen werden. Diese Funktion erhält auch der Jühnsdorfer Landweg, der in seiner vollen Länge erhalten ist. Die öffentlichen Gebäude gruppieren sich um das vorhandene, in der Mitte der Siedlung gelegene Waldgelände.

 

Um im Gegenentwurf annähernd gleichviel Parzellenland zu gewinnen, sind neue Grünflächen nicht hinzugefügt worden, obwohl eine Verbindung des nordwestlichen Waldgebietes unterhalb Mahlows mit dem Gutspark und der Blankenfelder Heide – allein schon vom ästhetischen Standpunkt her – als wünschenswert erachtet werden könnte. Notwendig ist sie nicht unbedingt, da ein ununterbrochener Spazierweg vom Norden her mit dem Umweg über das vorhandene Wald- und Wiesengelände zwischen Diedersdorf und Blankenfelde bis zu den Schiefen Bergen gewährleistet ist. 

 


Neu angelegt wurden lediglich etwa 20m breite Grünschutzstreifen an den beiden Hauptverkehrsstraßen (die im vorhandenen Entwurf fehlen!) ferner an der Bahnstrecke und ganz geringe Teile zur Abrundung des vorhandenen Naturbestandes. Ein wesentlicher Unterschied der beiden Pläne besteht in der Führung der Wohnstraßen. Während sie beim vorliegenden Plan zum größten Teil nord-südlich gerichtet sind, sieht der Gegenentwurf ausschließlich eine Ost-West-Orientierung vor. Blankenfelde stellt eine Streusiedlung dar, deren Häuser vier, mindestens drei Fensterfronten besitzen. Es ist also nicht notwendig, die für den Reihenhausbau gültigen Regeln der jetzt üblichen Ost-West-Belichtung auch auf freistehende Häuser zu übertragen.

 

Maßgebend für die gewählte Richtung der Wohnstraße war der Wunsch alle, soweit sie nicht durch den Bahnkörper abgesperrt werden, unmittelbar zu dem schönen Glasowbachtal hin zu öffnen. Der Wert eines jeden städtebaulichen Entwurf steht und fällt aber mit seiner Wirtschaftlichkeit. Auch Männer der Praxis, die kein Verständnis für humane Neuerungen haben, pflegen einen Vorschlag erfreut zu begrüßen, der ihnen Geld ersparen hilft. Für das durchgearbeitete Teilgebiet von Blankenfelde ist berechnet worden, daß von den 88ha an vorhandenen Naturbestand 50ha für die Allgemeinheit vernichtet werden.

 

Dafür hat man aber ihr zuliebe 49ha an Grünstreifen neu angepflanzt. Der Gegenentwurf hält nur die Hinzufügung von 10ha für notwendig. Bleiben also 39ha neuanzunehmender Grüngebiete, die im ersten Projekt durch eine vernünftige Planung gespart werden konnten. Nimmt man den preis für das Bepflanzen von 1qm Fläche mit nur 1 RM an, so ergibt sich die immerhin beachtliche Summe von fast 400.000 RM, die im anderen Fall von der Süd-Berlin Boden A.G. als Dividende hätte ausgeschüttet werden können.

Dem Einwand: Waldparzellen bringen höhere Preise, kann man entgegenhalten: Billigere Parzellen finden schnelleren Absatz (was bei der gegenwärtigen Finanzlage für manche Aktiengesellschaft entscheidend sein dürfte), besonders, wenn sie die Vorteile der teueren, den Besitz des Waldes, in höherem Sinne mitenthalten. Man kann sich außerdem an Ort und Stelle davon überzeugen. Wie kümmerlich die wenigen angepflanzten Weihnachtsbäume ihr Dasein im märkischen Sande fristen.

 

Erblickt man den abgeholzten Hochwald dagegen, so wird man nicht mehr im Zweifel darüber sein, welche Lösung die vorteilhaftere ist. Die vorhandenen Straßenprofile von 8, 10 und 12m sind im Vergleich zu denen anderer Parzellierungen noch als bescheiden anzusprechen. Trotzdem sind sie in  Bezug auf den Verkehr in solchen Streusiedlungen durchaus nicht erforderlich. Hier hätte durch die Anwendung der doppelten Bauflucht erheblich gespart werden können. Um jedoch die Gleichwertigkeit dem vorhandenen Plan gegenüber zu wahren, ist im Gegenentwurf die unmittelbare Zugänglichkeit jedes Grundstücks für den Fahrverkehr beibehalten worden. Immerhin weist der neue Entwurf 5ha Straßenland weniger auf als der vorhandene.

 

Es zeigt sich, daß trotz der Erhaltung aller Naturwerte der neue Plan nur 6ha Parzellenland weniger aufweist als der vorhandene. Dieses geringe Defizit läßt sich sofort beheben, wenn man ganz geringfügige Waldbestände, die ungünstig in das Gelände einschneiden, wie z. B. das in der südwestlichen Ecke des neuen Planes gelegene Schulgrundstück, zur Parzellierung freigibt. Trotzdem ist bewußt darauf verzichtet worden, um zu beweisen, daß man sehr wohl Siedlungen anzulegen vermag, ohne die vorhandenen Naturschönheiten auch nur anzutasten – daß der Mensch in der Natur wohnen kann, ohne sie anderen dadurch zu rauben. –

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