Neue und alte Nutzungen
Gewerbehof Körtestraße Nr. 10
Teil 2
Topanker
Aktuell1
4 | Firmen im Gewerbehof. Aktuell und einst
Firmen im Gewerbehof - aktuell
Lime Flavour
Die Fa. "Lime Flavour" (www.limeflavour.com), seit 2008 im zweiten Hof ansässig, beschäftigt sich mit der Gestaltung von Webseiten, der Optimierung von Internetauftritten und der Entwicklung von Apps nach den Wünschen der Kunden. Ergänzt wird das digitale Angebot durch die Erstellung von Firmendrucksachen jeglicher Art, zu denen etwa Flyer, Broschüren usw. gehören. Die Anzahl an Mitarbeitern ist derzeit auf 13 Personen angewachsen. Die überwiegend für wissenschaftliche Einrichtungen, Mittelständer oder öffentliche Institutionen erstellten Seiten wurden mehrfach preisgekrönt, so z. B. mit dem Grimme Online Award oder The FWA-Site of the Day.
Zu den bislang erstellten Projekten von Lime Flavour gehört etwa Erstellung eines interaktiven Stadtführers zur "Zerschlagung der Gewerkschaften". Während der Content hierzu von der Freien Universität kam, erfolgte die Umsetzung der Webseite mit Typo3 für den "Deutschen Gewerkschaftsbund" DGB durch Lime Flavour. Ein weiteres ausgeführtes Projekte ist z. B. der Relauch der Internetseite der Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wann-Konferenz".
| Hinweisschilder der im Hof ansässigen Firmen. Darüber ein s-förmig geschwungener Mauerwerksanker.
Ehemalige Firmen im Vorderhaus ab 1960
Ein Blick auf die Tordurchfahrt im Jahre 1966 (Bild rechts). Im Erdgeschoss rechts befand sich zum Zeitpunkt der Aufnahme ein Spielwarenladen. Das Wort "Tabak" weist auf das "Tabak- und Spirituosengeschäft" hin, welches sich hier vor dem Spielwarenladen befand. Später, nach dem Auszug der Brauerei der Bier-Company ("Turn" Hanfbier) befand sich hier das "Broken English" mit Geschenkartikeln und Überraschungen aus Großbritannien.
Auf der linken Gebäudeseite an Stelle der heutigen Eisdiele waren, so die Tochter des Besitzers der Autoreparaturwerkstatt von Helmut Jordan, Frau Jordan - Misselwitz, in den 1960er Jahren zunächst ein Seifen- und Kurzwarengeschäft, dann ein Blumenladen und zuletzt, vor der Eisdiele, ein Kinderladen untergebracht.
Frau Jordan - Misselwitz erklärt: "In der ersten Etage des Vorderhauses befand sich unsere Wohnung, welche die zwei Fenster links des Erkers besaß. Rechts wohnte der Vorbesitzer unserer Werkstatt, später nur noch seine Frau."
| Ein Bild der Tordurchfahrt vom Vorderhaus zum ersten Hof mit dem Firmenschild "Reparaturen Helmut Jordan", ca. 1966. Foto: Jordan-Misselwitz.
| Blick in das "Broken English".
Das Broken English
Im Vorderhaus befindet sich anstelle des alten Spielwarenladens sowie der anschließend hier eingezogenen Brauerei der Bier-Company ("Turn" Hanfbier) heute das "Broken English". 1996 hatte Dale Carr ihren erstes "Broken English" in der Grimmstraße eröffnet, dem Filialen in Steglitz und Charlottenburg bald folgten.
Ursprünglich ein reiner Geschenkeladen, führt das auf Geschäft heute auch typische Lebensmittel und Drogerieartikel aus Großbritannien. Alles was das Herz eines Briten aber auch vieler anderer begehrt. Leider hat auch das inzwischen Kultstatus besitzende Stammhaus des Broken English im Gewerbehof in der Körtestraße im Mai 2019 für immer seine Türen geschlossen. Eine Freundin der damaligen Inhaberin hat in der Arndtstraße am Chamissoplatz ein neues Broken English eröffnet.
| Die Hofeinfahrt 52 Jahre später Anno 2015 . Die Anzahl der Gewerbetreibenden und die Vielzahl der hier vertretenen Branchen sind beachtlich, weit mehr, als zu Herrn Jordan's Zeiten. Statt des Spielwarenladens auf der rechten Gebäudeseite befindet sich hier nun rechts das "Broken English". Auf der linken Seite neben der Toreinfahrt hat sich in den Räumen des ehem. Kinderladens eine Eisdiele niedergelassen.
| Der Gewerbehof Körtestraße 10 mit dem auffallend niedrigen, im Stil der 1950er Jahre gehaltenen Nachbarhaus.
Firmen im Gewerbehof - einst
Die alte Brotfabrik
1905 war die "Victoria - Neue Berliner Brot - Fabrik" von Theodor Herzog begründet worden, welche zunächst über viele Jahre in der Urbanstraße 25 ansässig war. Offenbar reichten dort die Räume nicht mehr aus, so das sie in den zweiten Hof des Gebäudes Körtestraße 10 zog. 1936 wurde die zuvor im Besitz des jüdischen Eigentümers Theodor Herzog befindliche Fabrik in neue Eigentumsverhältnisse "überführt" (Quelle: Humboldt Universität Berlin, "Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945").
Die "Victoria" - Brotfabrik bestand mindestens noch bis in die 1950er Jahre. In den 1960er Jahren zog die Gustav Liebig KG, deren bekannteste Marke das "Zerpenschleuser Landbrot" war, in die Räume. Irgendwann dann die bekannte Backwarenfabrik "Thoben". Sie war die letzte Brotfabrik im Gewerbehof. Inzwischen sind hier nun überwiegend Unternehmen aus der Dienstleitungsbranche ansässig.
| Ausschnitt aus dem Berliner Adressbuch mit dem Eintrag der "Victoria".
Erster Hof - Autowerkstatt Helmut Jordan
Zu ihren damaligen Wohnverhältnissen in der elterlichen Wohnung schreibt Frau Jordan-Misselwitz: Die Wohnung der Eltern lag im 1. OG. direkt über den hier zu sehenden Lieferwagen. Das erste Fenster links vor dem Seitenflügel war die Küche, dann kamen die Fenster der Speisekammer und des Badezimmers. Ganz rechts im schrägen Winkel zum 2. Seitenflügel war das Kinderzimmer: Puh, das war dunkel wie die Nacht. An der Straßenseite lagen direkt über der Durchfahrt das Elternschlafzimmer ("sehr kalt") und daneben dann das Wohnzimmer.
| Der erste Hof mit Blick auf die Tordurchfahrt zur Körtestraße und der Rückseite des Vorderhauses. Hier, im 1. OG über der Durchfahrt, lag die elterliche Wohnung von Frau Jordan-Misselwitz.
| Blick von Hof I zur Körtestraße. Im vorderen Teil der Durchfahrt links und rechts die Türen zu den beiden Läden.
| Laden - Eingangstür in der Tordurchfahrt.
| Noch einmal zum Vergleich das Foto aus den 1960er Jahren. Links neben der Tordurchfahrt das Büro der Werkstatt Jordan, geradezu und rechts jeweils eine Garage. Foto mit freundlicher Genehmigung Frau Jordan-Misselwitz
| Frau Jordan-Misselwitz zu diesem Foto: Rüstung zur Beseitigung der Kriegsschäden und Sanierung bzw. Wiederherstellung des 3.OG im Vorderhaus. Aufgenommen aus dem Küchenfenster des 1. OG Vorderhaus, Mitte 1960. Foto mit freundlicher Genehmigung Frau Jordan-Misselwitz.
| Der erste Innenhof mit Blick zur Tordurchfahrt zum 2. Hof. An Stelle der modernen grünen Eingangstür befand sich einst eine der Garagen der KFZ - Werkstatt Helmut Jordan bzw. von dessen Vorgänger Heinrich Pirz. Auch die zweite Garage (siehe Bild links) gibt es noch (rechts zwischen dem Rankegewächs). Auffällig die unverputzte Ziegelsteinfassade des Quergebäudes im Vergleich zu den übrigen Fassaden des Ersten Hofes.
Zweiter Hof
Im zweiten Hof hatten wechselnde Brotfabriken ihre Produktionsräume. Heute hat hier u. a. der deutsche Ableger der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War), ihren Sitz.
In Deutschland trägt die Vereinigung den etwas sperrigen Titel "Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V." Einem der Mitarbeiter der Vereinigung begegnete ich im Hof. Auf nachfrage erzählte ich ihm von meiner Foto- und Dokumentationsarbeit. Offenbar war er hiervon sehr angetan, wie das nebenstehende Foto zeigt...
| Zweites Quergebäude. In diesem befanden sich bis in die 1980er Jahre jeweils wechselnde Brotfabriken. Heute hat hier die IPPNW ihren Sitz. Einer der Mitarbeiter ist, wie hier am offenen Fenster zu sehen, von meiner Arbeit offenbar sehr angetan - Daumen hoch...
| Durchfahrt vom 1. in den 2. Hof. Blick zurück durch die Durchfahrt in den Ersten Hof. Auffällig ist, das der zweite Hof mit seinen Backsteinfassaden und der Ziegelsteinornamentik eine so ganz andere Anmutung hat, als der sich dem Vorderhaus anschließende Erste.
| Gusseiserner Radabweiser an der Durchfahrt zum zweiten Hof. Offensichtlich auch dringend nötig, wie die an der Außenseite abgerundeten Ziegelsteine zeigen.
| Zweiter Hof mit der Durchfahrt zum Ersten. An der Fassade des ersten Quergebäudes Reste der alten Lastenaufzüge an der Außenfassade, die man ganz bewusst beließ. Überhaupt war man bestrebt, den originalen Charakter des Gewerbehofs möglichst beizubehalten. Lediglich die Fenster wurden grundsätzlich erneuert.
| Porzellanisolatoren aus der Frühzeit der Elektrifizierung befinden sich z. T. noch immer an der Fassade. Neben dem mittleren Isolator Reste des alten Fernmeldeanschlusses.
| Interessant ist an dieser Aufnahme nicht nur die Befestigung von großformatigen Haken für eine Schrifttafel mittels Holzdübel, sondern vor allem die sog. Ziegelstempel. Diese sagen viel über die Herkunft des verbauten Ziegelsteinmaterials. So steht M. R. K. 6 für Milow Rittergut Bernhard Wilhelm Koch. Im Raum Rathenow, zu dem Milow gehört, befanden sich viele namhafte Ziegeleien, mit deren anerkannt gutem Material viele private und öffentliche Gebäude in Berlin errichtet wurden.
Lilienthal2
5 | Otto Lilienthals Maschinen gehen auf Reisen
Das Ende der Autoreparaturwerkstatt Helmut Jordan kam 1984. Da die von seinem Vorgänger übernommenen Maschinen noch aus der einstigen Fabrik des Flugpioniers Otto Lilienthal in der Köpenicker Straße 113 stammten, beschloss Herr Jordan, diese an ein Museum abzugeben. Das Deutsche Technikmuseum Berlin zeigte jedoch nur wenig Interesse. Daher gingen die 9 Objekte (u. a. eine Dreh- und Bohrmaschine, Schraubstöcke, eine Spindelpresse, ein Flaschenzug sowie einige Transmissionsteile) an das Technikmuseum Mannheim (Technoseum).
Die Maschinen sind dort probeweise in den Werkstätten des Museums von ihrem Vater aufgebaut worden. Leider kamen die Maschinen, da das Museum im weiteren Verlauf auch deutlich ältere Exponate erhielt, bei der Eröffnung des Technoseums 1990 nicht zur Aufstellung. Nach Auskunft des Museums befinden die Maschinenteile sich derzeit im Museumsdepot. Foto mit freundlicher Genehmigung Frau Jordan-Misselwitz.
| Herr Jordan und ein Mitarbeiter des Technoseums 1884 in der Körtestraße.
| Herr Jordan und ein Mitarbeiter beim Abbau der Maschinen 1884 in der Werkstatt.
Die Maschinen wurden nicht, wie heute üblich, über Einzelmotore, sondern über Transmissionen angetrieben. Transmissionsriemen aus Leder verbanden die jeweiligen Maschinen mit einem an der Decke verlaufendem Stahlgestänge, das zu einem zentralen Antriebsmotor führte.
Die Geschwindigkeit konnte durch das Umlegen des Lederriemens über verschieden große Riemenscheiben aus Gusseisen am Gerät eingestellt werden. Foto mit freundlicher Genehmigung Frau Jordan-Misselwitz.
Neben jeder Maschine war ein Block mit mehreren Schwungradscheiben unterschiedlicher Durchmesser angebracht. Je nachdem, ob man den Lederriemen über die erste, zweite oder dritte Schwungradscheibe legte, liefen die Maschinen entsprechend langsamer oder schneller. Foto mit freundlicher Genehmigung Frau Jordan-Misselwitz.
| Maschine mit Schwungradscheiben.
| Außenansicht der Werkstatt heute.
Die Reparaturwerkstatt "Helmut Jordan" ist heute längst Geschichte. Die Räumlichkeiten wurden zu Büros umgebaut und mit einem neuen Zugangsbereich im zur Fassade kontrastierendem Grün versehen.