Gebt dem Bahnhof sein Dach zurück!
Ein Plädoyer für den S-Bhf. Yorckstraße
(an der S2)
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1 | Das Bahnhofsgebäude heute
Bild und Text: Lutz Röhrig
Zugegeben, eine Schönheit ist er derzeit nicht – der S-Bahnhof Yorckstraße an der S2. An der Straßenseite präsentiert er sich mit einer hellen Putzfassade, welche lediglich durch die Eingangstüren, zwei relativ moderne Fenstern und einer umlaufenden Dachkante zum mit Teerpappe gedeckten Flachdach unterbrochen wird. Nichts, was einen wirklich ansprechen würde – doch das Geheimnis dieses Bahnhofs liegt im wahrsten Sinne des Wortes unter seiner Oberfläche.
Und wie diese einstmals ausgesehen hat, das kann man am Nachbargebäude, in welchem sich lange Zeit die legendäre Kneipe „Zum Umsteiger“ befand, anhand des dortigen roten Ziegelmauerwerks, dem Spitzgiebel und seinem traditionellen Ziegeldach zumindest erahnen. Beide Gebäude sind von der Straße aus gesehen mit einer relativ hohen, gleichfalls glattverputzten Mauer miteinander verbunden.
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2 | Genau hinschauen bitte!
Wer genau hinschaut entdeckt mehr. Vor allem von der gegenüberliegenden Straßenseite aus – dort, wo sich heute der Zugang zum gleichnamigen U-Bahnhof befindet. Von hier erst nimmt man den kleinen seitlichen Turmanbau am Gebäude des S-Bahnhofs wahr – und das mit dem Nachbargebäude übereinstimmende rote Ziegelmauerwerk, das der S-Bahnhof auf der dem Nachbargebäude gegenüberliegenden Seite besitzt. Unwillkürlich fragt man sich, ob das Bahnhofsgebäude wirklich so modern ist, wie es von der Straßenseite aus wirkt.
Betritt man das Bahnhofsgebäude, ist diese Frage schnell beantwortet. Man erblickt im Inneren gelb verklinkertes Mauerwerk, das zum Teil mit weißen Wandfliesen belegt ist und rot-weißen Steinfliesenbelag, welcher der Stilistik nach typisch für das frühe 20. Jahrhundert ist.
Tatsächlich wurde der Bahnhof am 1. Mai 1903 eröffnet. Für seine Anlage an den bereits 1901 in Betrieb genommenen separaten Vorortgleisen vom Bahnhof Lichterfelde Ost zum Potsdamer Ring- und Vorortbahnhof musste aus Platzmangel ein Teil des bestehenden Bahndamms an der Yorckstraße abgetragen werden. Um auch im Erdgeschoß Fenster anlegen zu können, war daher an den Seiten des Gebäudes die Anlage von Höfen notwendig. Verantwortlich war für den in märkischer Gotik ausgeführten Bahnhofsbau der für die Preußische Eisenbahndirektion Berlin zunächst als Regierungsbaumeister, dann als Landbaumeister tätige Karl Cornelius. Cornelius errichtete im Berliner Raum zahlreiche Bahnbauten, wie etwa die Bahnhöfe Lichterfelde Ost, Grunewald oder Karlshorst, aber auch technische Nebengebäude wie den Wasserturm am Bahnhof Ostkreuz.
Mit Eröffnung des Bahnhofs Yorckstraße wurde auf der Strecke vom Potsdamer Bahnhof nach Lichterfelde Ost auch ein Versuchsbetrieb mit 550 V Gleichstrom und eigens bei der Breslauer Actiengesellschaft für Eisenbahnwagenbau bestellten Fahrzeugen aufgenommen. Die hier stattfindenden Versuche dienten als Grundlage für die generelle Einführung des elektrischen Betriebs bei der Berliner S-Bahn in den 1920er Jahren. Dem Bahnhof Yorckstraße kommt also auch in dieser Hinsicht eine besondere Bedeutung zu, zumal 1904 hier ein Fahrzeugschuppen zur Unterbringung und Wartung der Elektrofahrzeuge entstand.
| Blick von der gegenüberliegenden Straßenseite auf das Ensemble aus Bahnhofs- und Restaurationsgebäude. Gut zu sehen der kleine Verbindungsflügel zwischen dem Treppenturm des Bahnhofsgebäudes und dem Restaurationsgebäude. Die Abbrucharbeiten zum Bau der inzwischen fertiggestellten Wohnhäuser haben begonnen.
| Blick von der Bahnhofshalle in den unter dem stadtauswärtsführenden S-Bahngleis hindurchführenden Tunnel und zur Bahnsteigtreppe (rechts hinten im Ansatz noch zu sehen). Auffällig die Obergaden - Fenster zur Gleisseite. Links die Eingangstüren, rechts die vermauerten und mit einer Stahltür versehenen ehem. Gepäck- und Schalterräume.
| Im Hintergrund der Eingangsbereich des Bahnhofs samt den ehem. Schaltern. Die weiß - braun glasierten Ziegelsteine des gewölbten Gleistunnels sind noch weitgehend original. Man beachte zudem den kunstvoll gemauerten Gewölbeansatz. Rechts vorne hinter der Werbetafel befand sich einst ein weiterer Eingang, dessen Türen zugleich die links zu sehenden Bahnsteigtreppen mit Tageslicht auch von unten versorgten.
| Blick nach oben zum Bahnsteig. Die originären weiß oder braun glasierten Ziegelsteine sind größtenteils noch erhalten, wenn auch im oberen Bereich lückenhaft. Auch die Handläufe zu beiden Seiten der Treppe mit ihren kunstvollen Befestigungselementen sind hier noch vorhanden. Der im mittleren Teil der Treppe einschwenkende hölzerne Verbau ist Teil des provisorischen Überweges über die Yorckstraße.
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| Das Restaurantionsgebäude im Jahr 2015 vor dem Beginn der Arbeiten für den Wohnungsbau. Noch steht das alte, zuletzt als (gelb gestrichenes) Wohnhaus genutzte "Comptorgebäude", das über eine mit Wellblech gedeckte Treppe zu erreichen war. Und auch die zu diesem Zeitpunkt erst sanierte Brücke der Dresdner Bahn - die älteste der gesamten Ensembles der Yorckbrücken - ruht noch auf ihren Wiederlagern.
3 | Das Restaurations- und Wohngebäude
Blickt man heute auf das einst durch einen kleinen Hof vom S-Bahnhof getrennte, durch seinen Baustil und dem roten Klinkermauerwerk besonders auffällige Nachbargebäude, so hegt man sofort die Vermutung, dass es wohl zeitgleich mit dem Bahnhof errichtet worden sei.
Und in der Tat trennen beide Gebäude lediglich zwei Jahre. Das Wohn- und Restaurationsgebäude entstand 1905 nach Entwurf der Architekten Hermann Klitscher und Hermann Afdring für den Bauherrn Louis Grandjean. Grandjean beabsichtigte nämlich nach Fertigstellung des Bahnhofs Yorckstraße an dem viel befahrenen Straßenzug eine Gaststätte zu betreiben.
Auf Grund des schmalen, ebenfalls in den Bahndamm hineingeschobenen Grundstücks war nur eine Anordnung der Funktionsräume übereinander möglich.
| Ein Foto aus besseren Tagen: Blick in die legendäre Kneipe "Zum Umsteiger". Das Alt-Berliner Lokal war, passend zur Lage, mit einer Fülle von Erinnerungen an Berlins große Verkehrsgeschichte dekoriert. Ganz links am Tisch (an der holzvertäfelten Wand): Der Wirt, Herr Hans-Werner Sens. Am Tresen seine Frau Michaela.
So befand sich im Erdgeschoß die Gaststätte, in der darüber liegenden Etage die Küche und im obersten Stockwerk die Privatwohnung Granjeans. Im Keller lagerten die Vorräte und befanden sich die Gästetoiletten. Stilistisch orientierten sich Auftraggeber und die Architekten bei dem 1905 fertiggestellten, gleichfalls im Stil der Märkischen Gotik ausgeführten Restaurations- und Wohngebäude am benachbarten Bahnhof.
Beide Gebäude – der Bahnhof Yorckstraße ebenso wie das benachbarte Restaurations- und Wohngebäude – sind auf Grund ihrer Funktion wie auch ihrer Stilistik als Ensemble zu betrachten, zu dem im erweiterten Sinne auch die benachbarten Yorckbrücken sowie der Bahnhof Yorckstraße-Großgörschenstraße (S1) gehören und stehen folgerichtig unter Denkmalschutz. Doch immer wieder tauchen Pläne auf, die einen Abbruch der Gebäude zur Zielsetzung haben: Sei es auf Bestreben benachbarter, am Bau von Wohnungen interessierter Investoren oder der Bahn.
| Die kaum einmal fotografierte Rückseite des Restaurations- und Wohngebäudes. Rechts das Gebäude des S-Bahnhofs. Auch ein eigentlich denkmalwürdiges Detail: die auf dem linken Schornstein erkennbare rote Warnleuchte - welche auf Grund der Nähe zum ehem. Flughafen Tempelhof montiert werden musste.
| Die Hofseite des Bahnhofsgebäudes. Der vorspringende Turm enthält im Wesentlichen die Wendeltreppe, die ursprünglich bis ins heute nicht mehr erhaltene Dachgeschoß reichte. Erhalten blieben hingegen alle wesentlichen Elemente der Fassade - von den Fenstergittern im Erdgeschoß bis hin zu den doppelt gefassten Spitzbogenfenstern im Turm. Auf dem Foto ansatzweise auch zu sehen: Der schmale (heute von einem grünen Steckzaun gekrönte), doppelstöckige Verbindungsbau zwischen dem Bahnhofs- und dem Restaurationsgebäude.
| Das Bahnhofsgebäude des S-Bahnhof Yorckstraße (rechts) und der Eingang zum U-Bahnhof Yorckstraße (links) liegen sich in einer Achse gegenüber und werden durch die stark befahrene Yorckstraße voneinander getrennt. Am Rand der Yorckstraße finden bereits Bohrungen zur Baugrundsondierung für die künftige S21 statt, deren Ergebnisse in die Planungen mit einfließen werden. Hinter der vorderen S-Bahnbrücke ist der provisorische hölzerne Aufgang zum S-Bahnhof zumindest teilweise zu sehen.
Städtebaulich jedenfalls wäre eine denkmalgerechte Restaurierung das Bahnhofsgebäudes von erheblicher Bedeutung. Sie würde zu einer Aufwertung des durch den benachbarten Wohnungsneubau gestalterisch arg gebeutelten Umfeldes führen, zu dem insbesondere die gleichfalls als Baudenkmal eingetragenen Eisenbahnbrücken sowie das benachbarte ehem. Wohn- und Restaurationsgebäude gehören.
Als im Zuge einer Restaurierung des Bahnhofsgebäudes wünschenswerte Maßnahmen wären dabei die Entfernung des straßenseitig auf dem Backsteinmauerwerk aufgetragenen Putzes sowie der Wiederaufbau des den Eingangsbereich betonenden Giebels anzusehen. Krönender Abschluss der Arbeiten wäre die Wiederherstellung des Ziegeldaches - so wie bereits 1985 in den Schriften der Berliner Denkmalpflege empfohlen.
Auch für eine Aufzugsanlage wäre in den derzeit verschlossenen ehemaligen Gepäck- und Fahrkartenschalterräumen des alten Bahnhofsgebäudes mehr als genügend Platz. Der Fahrstuhl könnte bis unter das Straßenniveau hinabgeführt werden, von wo aus dann eine gefahrlose Unterquerung der vielbefahrenen Yorckstraße und ein sicheres Erreichen des U-Bahnhofs möglich ist.
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4 | Resümee und eine Hoffnung
Doch wenn es wirklich, wie nun offenbar von der Bahn angedacht, zu einem Erhalt des alten Bahnhofsgebäudes kommen sollte, bleibt die Frage offen, in welchem Ausmaß eine dringend notwendige Sanierung erfolgen wird - und vor allem wann. Denn die Fertigstellung der im Bau (bis Hauptbahnhof) bzw. in Planung (bis Yorckstraße) befindlichen S21, der sog. "City- S-Bahn" wird nicht vor 2037 erwartet.
Die spitz formulierte Forderung „gebt dem Bahnhof sein Dach zurück“ ist somit mehrdeutig zu verstehen. Sie ist im Grunde eine Mahnung, dass bestehende historische Ensemble aus Bahnhofs- und Restaurationsgebäude im Vorfeld der als Baudenkmal eingetragenen Yorckbrücken zur erhalten. Sie ist aber auch eine Forderung, den Zustand des Bahnhofsgebäudes dringend zu verbessern und – endlich – eine bequeme direkte Verbindung zum gegenüberliegenden U-Bahnhof, die auch mobilitätseingeschränkten Personen zu Gute kommt, herzustellen.
Das jahrzehntelang (seit 1985!) bestehende Provisorium des hölzernen, mit vielen Treppenstufen versehenen unansehnlichen Übergangs muss endlich ein Ende finden. Für einen stark frequentierten Umsteigebahnhof im Herzen einer europäischen Hauptstadt ist die bestehende Situation ein wohl denkbar unwürdiger Zustand, der bei einem Zieltermin 2037 dann 52 Jahre angedauert hätte...
Aber vor allem ist die Forderung nach dem Erhalt des Gebäudes und der Rekonstruktion des Daches ein Hinweis zugleich auf die wohl letzte Möglichkeit zur architektonischen Aufwertung des durch ästhetisch wenig anspruchsvollen Wohnungsneubau und einem Baumarkt geprägten Umfeldes wie auch des Denkmalbereichs der Yorckbrücken.
Zu diesem Denkmalbereich gehören eben nicht nur die (in ihrer Zahl bereits reduzierten) Brücken, sondern auch die damals für den Bahnbetrieb notwendigen Bahnhofs- und Funktionsbauten. Bereits 2013 war der den Brücken benachbarte alte Zollpackhof der Anhalter Bahn an der Yorckstraße zugunsten eines Wohnungsbauprojektes abgebrochen worden. Darum lautet mein Resümee: gebt dem Bahnhof Yorckstraße sein Dach zurück! Bitte...
| Blick ins Innere des Treppenaufgangs, wie er sich seit 1985 präsentiert. Nach der ersten Treppe folgt links eine weitere. Für mobilitätseingeschränkte Personen gibt es keine Alternativen. Der Bahnhof, einer der wichtigsten Umsteigepunkte im Netz, ist für diese Fahrgäste schlichtweg zu meiden.
| Nach der Überwindung der Treppen befindet man sich auf Höhe der Gleise. Um auf Bahnsteighöhe zu kommen müssen noch die vier Stufen im Vordergrund überwunden werden. Abgesehen von den vielen Treppen stellt sich auch das sonstige Ambiente des 1985 notdürftig zwischen den beiden S-Bahnbrücken eingefügten hölzernen Übergangsbauwerks nicht unbedingt einladend dar.
| Blick vom Bahnsteig und dem historischen Schutzhäuschen in die prov. Übergangskonstruktion. Die Treppe vorn ist Original (wenn auch nunmehr in der Breite reduziert) und führt in das alte Bahnhofsgebäude. Wer zur U-Bahn will, muss den hinteren Treppenabgang nutzen - für Ortsunkundige eine Herausforderung.