in Blankenfelde
Die GAGFAH-Siedlung
in Blankenfelde
Topanker
Die GAGFAH-Siedlung in Blankenfelde
Text und Bild: Lutz Röhrig
Irgendwie verfolgt sie einen - die Architektur- und Siedlungsgeschichte Berlins und des Berliner Umlands. Insbesondere natürlich dann ganz besonders, wenn man in einem Altbau wohnt.
Denn die historischen Siedlungsräume endeten natürlich nicht an der Berliner Stadtgrenze. Und daher dehnte so mancher wohlbekannte Berliner Bodenspekulant seine Geschäfte auch ins Umland aus - oder versuchte dies zumindest.
Einer dieser Spekulanten, die letztlich auch für unser Haus in Blankenfelde eine Rolle spielten, war der Rittergutsbesitzer Karl von Carstenn-Lichterfelde (21. April 1874 - 4. Dezember 1936).
Dieser war Sohn des bekannten Berliner Bodenspekulanten Wilhelm Carstenn (12. Dezember 1822 - 19. Dezember 1896). Wilhelm Carstenn, der bereits in Hamburg Erfolg mit der Gründung einer Villenkolonie hatte, übertrug sein Konzept wenig später nach Lichterfelde (siehe Stellwerk und Bahnhof Lichterfelde-Ost).
Carstenn wurde 1873 der Adelstitel verliehen, weswegen er sich nun von Carstenn-Lichterfelde nennen durfte. Sein Sohn Karl von Carstenn-Lichterfelde versuchte es nun, seinem Vater gleichzutun - obwohl dieser in der Gründerkrise gescheitert war und sich in eine Nervenheilanstalt an der Schöneberger Hauptstraße begeben musste.
| Das ehem. "Schloss" Blankenfelde. Der zuletzt im Besitz der Gräfin von Wartensleben befindliche Gutshof geht 1928 an die Süd-Berlin Boden-AG. Die Gräfin bedingt sich aber noch ein Wohnrecht bis zum Jahr 1935 aus.
| Noch befinden sich an diesem Gebäude in der Erich-Klausener-Straße die alten Fensterländen. Die Fenster selber sind hingegen bereits durch rahmenlose ersetzt worden.
| Nur noch wenige Häuser des zuletzt gebauten größeren Typs (zwei Geschosse plus ausbaubares Dachgeschoss) sind im zumindest annähernden äußeren Originalzustand erhalten. Diese befinden sich in der Erich-Klausener-Straße zwischen Eichendorff- und Heinrich-Heine-Straße (siehe auch das Titelbild). Aber auch hier sind bereits Baumaßnahmen im Gange. Noch vorhanden ist ein Teil der Fensterläden und ein letztes Kastenfenster - samt Porzellan-Isolatoren.
Karl von Carstenn-Lichterfelde erwirbt 1927 das Gut Blankenfelde von der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Gräfin von Wartensleben. Das Gut soll zumindest zum Teil parzelliert und an zahlungskräftige Berliner veräußert werden. Doch auch er scheitert finanziell, da der Absatz der Grundstücke nicht wie erhofft verläuft.
Am 18. Oktober 1928 wird das Gut versteigert und von der Süd-Berlin Boden-AG erworben, eine Tochter der Dresdner Bank. Auch die Süd-Berlin Boden-AG möchte das Gut parzellieren und weiterveräußern. Angesichts der eher abgelegenen Lage des Gutes - Blankenfelde besitzt noch keinen eigenen Bahnhof - werden Kaufinteressierte aus Berlin mit Bussen und Autos zum Schloss Blankenfelde gefahren, wo die Süd-Berlin Boden-AG im Inspektorenhaus ein Verkaufsbüro eingerichtet hat. Es entstehen ab 1935 durch die Süd-Berliner Boden-AG etwa 200 Wohnhäuser.
Auch die damals größte gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Deutschlands, die GAGFAH (Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten), wird nun auf das Projekt aufmerksam. Nach dem Verbot der Gewerkschaften 1933 war die ursprünglich gewerkschaftseigene GAGFAH in den Besitz der "Reichsversicherungsanstalt für Angestellte" gelangt. 1934 erwirbt die GAGFAH von der Süd-Berlin Boden-AG ein größeres zusammenhängendes Grundstück, auf dem sie quasi umgehend mit dem Bau von 148 geplanten Doppelhäusern beginnt.
Die GAGFAH errichtet zunächst standardisierte, eineinhalb geschossige Doppelhäuser, den sog. "Typ 1". Dieser 4-zimmerige Haustyp ist voll unterkellert mit Giebeldach und einem ausbaufähigen Dachgeschoss - ein Stück Gartenland gehört zudem mit dazu. Die ersten 106 Häuser des Bauabschnitts "A" (Kiefernweg, Erich-Klausener-Straße) können bereits am 1. Oktober 1935 bezogen werden. An der Dorfstraße neben der alten Brennerei des ehem. Schloßgutes befindet sich auch das Musterwohnhaus, das kaufwillige Interessenten besichtigen können. Größter Wert wird auf eine einheitliche Gestaltung aller Häuser gelegt.
Die Bauabschnitte "B" und "C" kommen bis zum 1. April 1936 hinzu. Diese 190 weiteren Häuser liegen im Bereich des heutigen Drosselsteig, der Straße "An den Vier Ruten", der Karl-Liebknecht-Straße, dem Birkenweg und der Straße "Im Gehölz". Es entstehen dabei weitere Typenbauten mit unterschiedlichen Wohnungsgrößen. Jedoch ist man zunehmend bestrebt, Material einzusparen. Der Architekt Otto Englberger, seit 1929 Mitarbeiter der GAGFAH, versucht dabei die strenge Uniformität der Siedlung etwas abzumildern. Das Ende der Bautätigkeit der GAGFAH in Blankenfelde kommt mit dem Beschluss des NS-Regimes von 1940, auf Grund des Krieges sämtlichen Wohnungsbau einzustellen. Lediglich begonnene Projekte werden daher bis 1941 in Blankenfelde noch fertiggestellt. So kommt es u. a. auch nicht mehr zum Bau eines neuen Ortszentrums samt Kino am heutigen Brandenburger Platz.
| Die heutige Erich-Klausener-Straße in den 1960er Jahren. Die Straße ist noch mit Kopfsteinpflaster belegt, die Häuser befinden sich im weitgehenden Originalzustand. Auf dem damaligen Karl-Marx-Platz (heute Brandenburger Platz) gibt es bis auf ein paar Bänke noch keine Bebauung.
| Durch den Krieg, den Wechsel der politischen Systeme und vor allem der Hauseigentümer blieben nur wenige Dokumente der einstigen GAGFAH-Siedlung erhalten. Daher stellt diese Werbe-Mappe der GAGFAH für Interessenten und Kaufwillige des "Bautyps 1" eine Seltenheit da- noch dazu, da diese Bauplänen, Hypotheken-Zahlscheinen, Bauscheinen usw. enthält.