Das Delphi
Gustav- Adolf- Straße
Topanker
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Bild und Text: Lutz Röhrig
Das Delphi in der Gustav - Adolf- Straße 2 in Weißensee gehört zu den letzten, eigens noch für den Stummfilm errichteten Kinos Berlins. Durch die wechselvolle Geschichte des heute als Veranstaltungsgebäude genutzten Hauses blieb ein Großteil der anderen Orts längst entfernten Innenarchitektur erhalten. Das ehem. Kino ist derart authentisch, das in ihm die Ballsaalszenen für den TV-Epos „Babylon Berlin“, der bisher teuersten und aufwendigsten deutschen Fernsehserie, gedreht worden sind (siehe Video im Kapitel fünf).
Eigentlich hätte für die beiden Betreiber - Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider - des ehemaligen, nun zu einem Veranstaltungsort für Konzerte und Theater umgewandelten Kinos, alles gut werden können: doch der Diebstahl der gesamten technischen Ausrüstung stellte alle Pläne für die Zukunft in Frage. Das Kino braucht dringend Hilfe. Um Spenden (ab 5 Euro) wird dringend gebeten (Kontaktadresse: nikolaus@per-aspara.net). Schön, wenn Sie dabei zeit-fuer-berlin.de als Quelle angeben. Der Trägerverein "Per Aspera e. V. sowie die beiden Betreiber, welche das ehem. Kino aus eigener Kraft und ohne Fördergelder saniert haben und betreiben, hätten es verdient – schon allein auf Grund der bewegten Geschichte des Filmtheaters…
| Der ehem. Kinosaal während der Benefiz - Veranstaltung am 3. Dezember 2017. Die effektvolle Hintergrundbeleuchtung der Bühne - ein dem Haus überlassenes Überbleibsel des Filmprojektes "Babylon Berlin" - lässt wirksam die einst in vielen großen Kinos vorhandene Stuckornamentik rund um den ehem. Leinwand- und Bühnenbereich hervortreten. Der Saal wurde ansonsten ganz bewusst im vorgefundenen Zustand belassen. Am Mikrofon Nikolaus Schneider.
| Das Delphi in Weissensee. Ein ganz besonderer Ort, den es zu bewahren gilt. Wo kann man die Atmosphäre historischer Kinosäle noch derart unverfälscht wahrnehmen - beinahe nirgends mehr. Leider blieb der originale Neon - Schriftzug an der Fassade des Hauses nicht mehr erhalten.
| Tom Tykwer - hier auf der Berlinale 2018 von mir fotografiert - ist heute ein international bekannter Regisseur (Lola rennt, Babylon Berlin). Nach ersten Anfängen in seiner Heimatstadt Wuppertal begann seine eigentliche Karriere im heutigen Kino Moviemento am Kreuzberger Kottbusser Damm...
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| Zum Vergleich: Der noch bis in die 1980er Jahre weitgehend erhalten gebliebene, erst durch den völligen Umbau des Kinos beseitigte Innenraum des 1928 eröffneten Titania - Palastes in Steglitz.
Die Anfänge des „Delphi“ gehen auf das Jahr 1921 zurück, als in dem Wohngebäude die „Meckel-Lichtspiele“ ihren Einzug hielten. Die Gegend war gut gewählt, schließlich entwickelte sich Weißensee gerade zu einer Filmstadt mit zahlreichen Ateliers, Werkstätten und eben auch Kinos, in denen die hier produzierten Streifen auch gleich gezeigt werden konnten.
So befand sich ganz in der Nähe, in der damaligen Franz - Josef - Straße 9 (heute Liebermannstraße), die Fag Film - Atelier - GmbH, welche dort ein ebenerdiges Glashaus für Filmarbeiten unterhielt und in dem der wohl berühmteste Deutsche Stummfilm jener Jahre, "Das Kabinett des Dr. Caligari" (1919) gedreht worden war (Regie: Robert Wiene. Die Bauten des Films waren hingegen in Babelsberg angefertigt worden unter Mitarbeit von Walter Röhrig und Hermann Warm (Kulissenmaler) sowie dem Architekten Walter Reimann).
Offenbar waren die „Meckel Lichtspiele“ derart erfolgreich, dass der Besitzer schon drei Jahre später plante, hier einen großen Kinopalast zu errichten. Ein für ihn ohne Weiteres zu realisierendes Vorhaben, schließlich betrieb er neben dem Kino auch das nach ihm benannte "Baugeschäft Julius Meckel". Da der Tonfilm noch nicht dominierte, jedoch aber im Kommen war, wurde das Lichtspieltheater, obgleich für den Stummfilm ausgelegt, zumindest technisch auf den Tonfilm vorbereitet.
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1929 entstand, ausgeführt durch das Baugeschäft Julius Meckel sowie durch die Architekten Julius Krost (Entwurf) und Heinrich Zindel (Ausführender Architekt) ein großer kubischer Baukörper im Stil der Neuen Sachlichkeit, dessen glatte Fassadenfläche vor allem durch die von Neonröhren flankierten Werbefläche über den Eingängen sowie dem Schriftzug „Delphi“ dominiert wurde.
Leider blieben Werbefläche, Schriftzug und die Neonelemente nicht erhalten. Unterbrochen wird die glatte Putzfassade durch zwei heute noch vorhandene Fensterbänder über der Hofeinfahrt, deren abschließende Dreieck-Ornamentik noch den Expressionismus der späten zwanziger Jahre anklingen lässt, sowie einem Laubengang, der zu den Wohnungen oberhalb des Kinos führte. Zwei übereinander liegende Gesimsflächen unterschiedlicher Länge schließen die Fassade nach obenhin ab.
| Die Fassade des Delphi heute. Längst sind die große Werbefläche über den Eingängen und die Neonbeschriftungen verschwunden. Erhalten blieben hingegen die beiden Fensterbänder über der Hofeinfahrt mit ihrer expressionistischen Stuckornamentik. Sie stehen damit im Gegensatz zu der ansonsten im Stil der "Neuen Sachlichkeit" gehaltenen Fassade.
| Der Eingangsbereich des Kinos 1955, noch mit originalen Neonschriftzügen und der Werbefläche. Quelle: Wikipedia/ Deastar
Der Zugang erfolgt über einen der ursprünglichen drei Eingänge an der Straßenseite, von dem man das Foyer erreicht, in dem sich heute neben der Kasse auch eine kleine Bar befindet. Von hier geht es rechts durch einen mit einer Gewölbedecke versehenen Flur zum ebenerdigen Saal, welcher 545 Personen Platz bot. Vom Foyer führen zudem auch zwei Treppen zu den erhöht liegenden Logenplätzen, die sich an der Saalrückseite befinden und zum Rang, der sich balkonartig an einer der Saal- Längsseiten erstreckt. Hier fanden insgesamt weitere 299 Zuschauer Platz. Das Kino verfügte, wie zu Zeiten des Stummfilms üblich, über einen Orchestergraben, der für 13 Musiker ausgelegt war.
Meckel, dessen Baugeschäft ihn voll und ganz in Anspruch nahm, bespielte das Kino jedoch nach Fertigstellung nicht mehr selbst, sondern hatte inzwischen E. Palkowski zum ersten Pächter und Direktor des Delphi bestimmt. Unter Palkowski wurde das Kino am 26. November 1929 mit dem Film „Hochverrat“ eröffnet (Regie Johannes Meyer, in den beiden Hauptrollen die durch Fritz Lang seinerzeit bekannt gewordene Gerda Maurus sowie Gustav Fröhlich).
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Den Zweiten Weltkrieg überstand das Kino verhältnismäßig gut. Die Wiedereröffnung erfolgte daher schon 1945 nach einer eher provisorischen Instandsetzung. Dabei wurde jedoch ein Bombenschaden im Dachbereich übersehen, der zum unbemerkten Eindringen von Wasser vor allem im Bereich der eingezogenen Saaldecke führte. 1959 kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall, als durch die Feuchtigkeit gelöste Stuckteile in den Saal fielen. Am 12. Februar 1959 wurde das Kino nach ausgiebigen Untersuchungen der Baubehörden geschlossen.
Gleichzeitig wurde offenbar die Gelegenheit genutzt, das Gebäude des in West-Berlin lebenden Eigentümers zwangsweise zu versteigern. Der Ostberliner Magistrat trat als einziger Bieter auf, welcher das Haus für 120.000 Mark erwarb. Die im Anschluss geplante Sanierung des Kinos jedoch unterblieb. Während das Foyer des ehem. Kinos abwechselnd als Gemüse- und Wäschelager, Lagerraum der Zivilverteidigung der DDR sowie als Briefmarkengeschäft zweckentfremdend genutzt wurde, dämmerte der Kinosaal hingegen vor sich hin.
| Der ehem. Kinosaal während der Benefizveranstaltung am 3. Dezember 2017. Blick auf den auf der rechten Seite des entlangverlaufenden Rang.
| Treppe vom Foyer zum Rang und den Logenplätzen.
| Eine alte Stahltür an der Treppe vom Foyer zu den Logen. Durchaus denkbar, das sie aus der Erbauungszeit des Hauses stammt...
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| Der berühmte, angeblich im "Moka Efti" spielende, jedoch im "Delphi" aufgenommene Auftritt der der Sängerin "Psycho Nikoros" (Severija Janusaukaite) mit ihren der TV - Serie "Babylon Berlin" auch die Titelmusik verleihenden Song "Zu Asche, zu Staub". Direkt vor der Bühne ist im Video unter den tanzenden Gästen auch "Charlotte Ritter" (Liv Lisa Fries), die weibliche Hauptrolle der Serie, zu sehen. Zum Abspielen des Videos auf YouTube bitte auf das Bild klicken.
Nach 1990 nutzte das Foyer ein Orgelbauer als Ausstellungsraum, nach dessen Konkurs das Gebäude 2005 zwangsversteigert wurde. Ab 2013 übernahmen Nikolaus Schneider und Brina Stinehelfer das Haus, dessen Technik komplett saniert werden musste, um z. B. den Anforderungen des Brandschutzes zu genügen. Viel Geld wurde benötigt, das jedoch durch die Schweizer Edith Maryon Stiftung, welche Mitte 2016 das Gebäude erwarb, aufgebracht werden konnte.
Doch dann der Rückschlag: Bei einem Einbruch wurde die gesamte Technik im Wert von 100.000 Euro gestohlen. Ein „Tag der offenen Tür“ mit Benefizveranstaltungen am 3. Dezember 2017 sowie ein Crowdfunding – Projekt sollten nun das für den Stadtteil wie auch für das Gebäude des ehem. Kino so wichtige Kulturprojekt vor dem Aus bewahren. Das Delphi überlebte - bis heute...
So konnte das ehem. Delphi inzwischen als Veranstaltungsort wiedereröffnet werden. Ich wünsche den Betreibern, Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider, viel Erfolg, auf das dieser wunderbare Ort auch für jene, die nach uns kommen, erhalten bleibt. Negativbeispiele gibt es genug - Erfolge bei der Erhaltung historischer Orte viel zu wenige...
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Das ehem. Delphi-Kino gehört wohl zu den bemerkenswertesten Veranstaltungsorten Berlins. Es strahlt eine besondere Atmosphäre aus - weil es nicht vollständig saniert, sondern weitgehend in einem Stadium wie bei der Übernahme des Bauwerks belassen worden ist.
Kein Wunder also, das es als Filmdrehort der erfolgreichen TV - Serie "Babylon Berlin" ausgewählt worden ist und hier das ehem. Café "Moka Efti" mit seinem ambivalenten Nachtleben im Kellergeschoss darstellt.
| Der Gang vom Foyer zu den im Parterre liegenden Saaleingängen.
| Blick von der Treppe zum Rang und den Logen auf das Foyer während der Benefizveranstaltung am 3. Dezember 2017. In der Mitte mit Schiebermütze der Chef des Hauses.
| Treppenabgang von den Logenplätzen und vom Rang.