Knaackstraße 22 - 24
Das Pasternak
Knaackstraße 22 - 24
Bild und Text: Lutz Röhrig
Ich glaube, es gibt nur wenige, welchen den Roman „Doktor Schiwago“ und vor allem dessen Verfilmung (Genau, der mit Omar Sharif, Geraldine Chaplin, Alec Guinness, er gewann 5 Oscars) nicht kennen – eines jener großen Epen, die während der Zeit der russischen Revolution spielen. Nicht umsonst wurde dem russischen Autor der Literaturnobelpreis 1958 verliehen – in dessen Abwesenheit, den Boris Leonidowitsch Pasternak (1890-1960) durfte den Preis aus politischen Gründen nicht entgegennehmen. Erst sein Sohn konnte den Preis 1989 in Stockholm posthum während einer berührenden Zeremonie in Empfang nehmen.
Vielleicht war es das Schicksal Pasternaks, das uns dazu bewegte, das bekannte Restaurant gleichen Namens im Kollwitzkiez (Prenzlauer Berg) zu besuchen – oder eine der vielen alten Geschichten der Großmutter. Unser Jüngster wurde an diesem Tag gerade 18 und wollte einmal mit der Familie russisch essen gehen. Schließlich hatte er davon gehört, dass sein Uropa während der Revolution aus dem Zug heraus mitsamt seiner Familie in Sibirien auf freiem Feld ausgesetzt wurde. Dank seines russischen Abiturs und einiger mitfühlender Kaufleute vor Ort, die dringend jemanden für die Korrespondenz benötigten, überlebte er die Strapazen und starb vor langer Zeit im Alter von 56 Jahren.
| Alter Parkettboden und edles Mobiliar. Im Pasternak kann man sich wohlfühlen.
| Gemütliche Fensterecke und eher stillere Plätze im Nebenraum. Und das Piano deutet an: Es gibt bisweilen auch Livemusik.
Längst gibt es diesen russischen Zweig der Familie nicht mehr. Ein paar alte Dokumente und viele, sehr viele Geschichten blieben bis heute – und ein im Hier und Jetzt mir gerade auf den Tisch gestelltes, kühles Getränk. Bei der Hitze fällt es auch schwer, an die Kälte Sibiriens, Schneegestöber und heulende Wölfe wie in jenem Film zu denken, dem Pasternaks Roman zu Grunde liegt.
Doch der Blick unter der Schatten spendenden Markise hervor auf den alten, fast romantisch wirkenden Wasserturm hier an der Knaackstraße und den schönen Bäumen lässt einen ein wenig träumen – bis die Familie kommt. Na, ein paar Fotos müssen noch schnell gemacht werden, was man mir gern erlaubte – schließlich waren schon so viele Fernsehteams, Zeitungen usw. schon vor Ort. Das Pasternak ist seit über 30 Jahren – und damit lange vor dem aktuellen Konflikt - eine kleine Berühmtheit. Man achtet darauf, dass sich jeder wohlfühlt, egal woher er kommt und egal, ob Mitarbeiter oder Gast.
Na endlich, langsam kommt die Familie. Ich komme mir schon etwas komisch vor an dem für so viele Personen reservierten Tisch alleine sitzen zu müssen. Wollen mal sehen, ob das Restaurant dem großen Hunger unserer Söhne so standhalten kann, schmunzel. Die können schon was verdrücken, zumal gleich noch der zweite Familienteil mit dessen Kindern kommt. Ich glaube, die junge Servicekraft bekam beim Aufnehmen der vielen Bestellung schon glänzende Augen…
Was alles so bestellt wurde – klar, die Pelmeni. Aber auch der überbackene Blumenkohl fand seinen Anhänger. Die Wahl aus der Speisekarte mit typisch russischen und jiddischen Gerichten fällt einem angesichts der Vielzahl der Speisen schwer. Auch ich schwankte zwischen Pelmeni und der „Mommes Kalbsroulade“, die mit Pfirsich, Spinat usw. gefüllt ist. Hört sich interessant an.
Es war ein schöner Nachmittag. Man speiste lecker – auch das Dessert kann ich nur empfehlen. Alle waren zufrieden. Speisen, Service und vor allem das tolle Ambiente – alles stimmte. Und „Doktor Schiwago“? Ich glaube, ich habe den Film vor vielen, vielen Jahren als Jugendlicher einmal im Fernsehen gesehen. Wird Zeit, ihn mir mal wieder anzuschauen. Großes Cineasten-Ehrenwort…
| Unter der großen Markise lässt es sich auch bei Hitze gut aushalten - Blick auf den gegenüberliegenden historischen Wasserturm und den alten Bäumen inklusive.