Das Lida
am Breitenbachplatz
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Bild und Text: Lutz Röhrig
Auf den ersten Blick scheinen alle Spuren an das einstige Kino "Lida" (Lichtspiele Dahlem) am Breitenbachplatz getilgt zu sein, das 33 Jahre den Bewohnern des Viertels Unterhaltung bot.
Erst das Gespräch mit den Ladeninhabern am Platz, die heute die Räume des "Lida" nutzen, erschließt erste Hinweise, die durch die Sichtung der vorhandenen Unterlagen schließlich näher eruiert werden konnten. Begeben wir uns also auf eine Spurensuche....
| Das Kino Lida im Jahr 1934. Das Gebäude verfügt hier noch über sein Ziegeldach, das von dem Schriftzug "Kino" bekrönt wird. Die rechts neben dem Hauseingang befindliche ehem. Schaufensterfläche, hinter der sich der Vorführraum (zugänglich über die durch Plakate verdeckte Tür in der Mitte) und der Kinosaal befinden, diente der Film - Werbung. Der Besucherzugang zum Kino lag hingegen links vom Hauseingangs.
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| Das Kino Lida im Jahr 1955.
Das Kino war damals im Gebäude Schorlemerallee 2 - 4 untergebracht. Die Sichtung alter Pläne zeigt, dass sich diese Adresse heute auf das Wohn- und Geschäftshaus am Breitenbachplatz 21 bezieht. Es liegt also nahe, hier nach den ersten Spuren des einstigen Kinobetriebs zu suchen.
Das Gebäude, so zeigen die Akten, wurde, wie die gesamten Wohn- und Ladenzeile Breitenbachplatz 10 - 18, in den Jahren 1929 - 1932 von den Architekten Ferdinand Radzig und Otto Firle errichtet.
Otto Firle war zu diesem Zeitpunkt u. a. bereits durch den Entwurf des ersten Lufthansa- Logos (1918) und des Reichsbahn - Emblems (1920) sowie dem Umbau des bekannten Modehauses Grünfeld am Kurfürstendamm (1927) bekannt geworden.
Bei dem Projekte am Breitenbachplatz war er zusammen mit Ferdinand Radzig und dessen Bruder, dem Kaufmann Arnold Radzig, sowie dem Bauunternehmer Robert Döffner jedoch nicht nur als Architekt, sondern auch als Bauherr involviert. Dementsprechend gehörten die mit Tiefgaragen, Läden, großen viereinhalb - Zimmer Wohnungen und Ateliers zu den fortschrittlichsten Wohnungen jener Zeit in Berlin.
Otto Firle nutzte in der Nummer 18 gleich selbst eines dieser Ateliers, während Ferdinand Radzig als Eigentümer des Hauses Schorlemerallee 2-4 in den Erdgeschossräumen unmittelbar neben dem Kino sein Architekturbüro eröffnete.
Die Schorlemer Allee war zu diesem Zeitpunkt ein Experimentierfeld der Neuen Moderne. So entstand etwas weiter südlich ab 1925 - 1930 die "Versuchssiedlung Schorlemerallee", für die eine der bekanntesten Sozietäten jener Zeit, das Architekturbüro Luckhardt & Anker, verantwortlich war.
Die Architekten dieses Büros, Hans und Wassili Luckhardt (von denen u. a. auch das Hochhaus am Kottbusser Tor, 1952-55, stammte) wohnten selbst in der Nummer 17 (heute Nr.19), während sie ihr Architekturbüro zusammen mit dem jüdischen Architekten Alfons Anker (der in der damaligen Nr. 19 wohnte) in der Nummer 17a betrieben.
| Das 1932 errichtete Gebäude heute. Auf der linken Seite, auf der sich ein heute leider nicht mehr bestehendes Eisen- und Haushaltswarengeschäft (siehe Artikel: Eisenwarengeschäft Weger) befand, lagen einst der Vorraum und die Kassen. Rechts des mit massiven Sandsteinplatten eingefassten Hauseingangs, in dem sich später eine Bankfiliale befand und heute eine Orthopädie - Praxis ihre Dienste offeriert, lag der eigentliche Kinosaal. Das ursprünglich hohe Satteldach von dem ganz rechts noch ein kleiner Teil zu sehen ist, wurde zu Gunsten einer vollausgebauten weiteren Etage beseitigt.
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| Fassadenriss des Kino Lida. Rechts die durch ein Vordach mit dem Schriftzug "Lida" eingefassten Schaukästen an der Fassade. Inmitten dieser Schaukästen befindet sich die Eingangstür zum dahinterliegenden Vorführraum. Links des Treppenhauseingangs lag der gleichfalls unter einem Vordach liegende offene Eingangsbereich zum Kino. Die beiden äußeren Schaufenster links gehörten hingegen nicht zum Filmtheater.
Ein Jahr nach Fertigstellung der Geschäfts- und Wohnhauszeile eröffnete 1933 im heutigen Haus Breitenbachplatz 21 das "Lida", das zur "Polygon Lichtspielbetriebe GmbH" gehörte. Die "Polygon" betrieb mehrere Kinos im Süd - Westen Berlins, so u. a. auch das "Cosima" (ab 1935) am heutigen Varziner Platz und das "Bundesplatz- Studio". Alle Häuser unterstanden dem Geschäftsführer Willy Schönstedt. Ab 1936 mit der Neufassung des Gesellschaftervertrags firmierte die "Polygon" daher als Polygon - Lichtspiel- Betriebe Schönstedt & Co." Außer Willy Schönstedt war an dieser Gesellschaft - neben einem alsbald wieder ausgeschiedenen Mitgesellschafter - nur seine Mutter und seine Ehefrau E. Sittner beteiligt.
Auf dem heute nur noch ansatzweise bestehenden Ziegeldach des Hauses hatte Schönstedt das Wort "Kino" in großen Leuchtbuchstaben montieren lassen, um potentielle Besucher schon von weitem auf das Lichtspieltheater aufmerksam zu machen. Trat der Besucher näher an das Gebäude heran, sah er rechts des mit Sandstein eingefassten Treppenhauseingangs den Namen des Kinos als geschwungenen Neonschriftzug. Unter dem den Namenszug tragenden Vordach befanden sich Schaukästen, welche das Filmprogramm sowie diverse Filmfotos und Plakate enthielten. Etwa in der Mitte der Schaukästen lag der Eingang zum großzügig bemessenen, nicht öffentlichen Vorführraum.
Der Eingang zum Kino befand sich, anders als man dies erwarten würde, links des Treppenhauseingangs. Die optische Verbindung zur auffälligeren Schaukastenseite bestand in einem Vordach, dass jedoch im Bereich des Treppenhauseingangs unterbrochen war. Vom offenen Eingang trat der Besucher unmittelbar in eine Vorhalle, welche an ihrer Stirnseite die Kassen sowie die beiden Zugänge zum Empfangsraum enthielt.
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Der Empfangsraum umschloss L-förmig das den Kinokomplex teilende Treppenhaus und diente u. a. zur Aufnahme der Garderobe. An der Stirnseite lagen die Türen zu den weiteren Räumen des Kinos, zu denen neben dem Büro auch der Vorraum zum Kinosaal gehörte. Im Vorraum selbst befanden sich die Toiletten sowie der Zugang zum Saal, der über einige nach unten führende Stufen erreichbar war. Diese Treppenstufen waren auf Grund des Umstandes notwendig geworden, da, um die Zuschauerreihen in verschiedenen Höhenebenen anlegen zu können, die Kellerdecke abgesenkt werden musste.
Der Kinosaal verfügte über 338 Sitzplätze, die trapezförmig auf die Leinwand zuliefen. Das Kino überstand, wie auch das Wohnhaus, unbeschädigt den Krieg und stand zunächst unter der Treuhandverwaltung von H. Männecke und dessen Geschäftsführer W. W. Schulz. 1949 verstarb Willy Schönstedt. 1950 unterstand das Kino zwar wieder der "Polygon - Lichtspiel - Betrieb Schönstedt & Co. KG, nun jedoch unter dem Gesellschafter E. Sittner. Mit der neuen Regelung der Besitzverhältnisse wurde jedoch zugleich auch der Grund für den späteren Niedergang des Kinos gelegt. Krieg und Nachkriegszeit sowie die schwierige Geschäftslage der Gesellschaft, zu der ja noch weitere Kinobetriebe gehörten, hatten ihren Niederschlag auch in der Ehe Willy Schönstedts gefunden. So offerierte er seiner Frau schließlich die Scheidung.
Da durch die Scheidung auch der Gesellschaftervertrag geändert werden musste, nutzte Schönstedt die Gelegenheit, den finanziellen Anteil seiner Frau am Unternehmen erheblich zu reduzieren. Auf Grund des Todes von Schoenstedt kam jedoch die Scheidung und der erzwungene Rückzug der Ehefrau aus dem Unternehmen nicht mehr zu Stande. Es entspann sich aber nun ein über viele Jahre und mehrere Instanzen erstreckender Rechtsstreit zwischen dem neuen Gesellschafter und dessen Ehefrau sowie dem aktuellen Pächter des Kinos, welcher bis in die 1960er Jahre reichte und letztlich zur Schließung des Lidas im Jahre 1965 mit beitrug.
| Grundriss des Kino Lida. Unmittelbar links des Treppenhauses befinden sich der offene Eingangsbereich, der Vorraum und der Empfangsraum. Dahinter liegen Büroräume und der Vorraum zum Kinosaal, der über Treppenstufen zu erreichen war. "X" markiert die Säulen im Kinosaal - die zweite von links (im Empfangsraum) ist die bis heute erhalten gebliebene Säule (siehe nächstes Foto). Der große Raum ganz links gehörte nicht zum Kino, sondern wurde vom Besitzer und Mitarchitekten des Gebäudes, Ferdinand Radzig, als Büro genutzt.Nach der Schließung des Kinos zog auch in dem Raum des Architekten das Eisenwarengeschäft Weger ein, während hingegen der ehem. Kinosaal durch eine Bankfiliale genutzt wurde.
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| Die erhalten gebliebene kunstvoll verkleidete Säule im ehem. Empfangsraum des Kinos Lida, in dem bis vor kurzem noch das Eisenwarengeschäft Weger ansässig war.
Nach der Schließung des Kinos wurden dessen Räume einem gründlichen Umbau unterzogen. Während der eigentliche Kinosaal von einer Bankfiliale belegt wurde, zog in dem ehemaligen Vor- und Empfangsraum das Eisenwarengeschäft Weger ein, das hierin eine Chance zur Vergrößerung sah.
In dem inzwischen gleichfalls geschlossenen Geschäft erinnerte eine besonders kunstvoll ausgeführte Säule an das einstige Kino Lida. Mehr überdauerte nicht den Wandel der Zeiten - einem Wandel, der auch vor dem Breitenbachplatz nicht halt gemacht hat.
So quert seit dem 11. Juni 1980 eine autobahnähnliche Hochstraße den Platz, der seither in zwei Hälften geteilt ist. Vorbei also die beschaulichen Tage, an denen man es sich am Breitenbachplatz gut gehen lassen konnte - bei einem Besuch des bekannten, inzwischen ebenfalls geschlossenen Cafés Telchow und, natürlich, bei einem Besuch im Kino Lida.