U6 Scharnweberstraße
Eine Brücken-Schönheit der U6
Scharnweberstraße / Seidelstraße
Einleitung1
1 | Geschichte der Brücke
Bild und Text: Lutz Röhrig
Sie ist eine schlanke Schönheit ganz ohne Zweifel. Mit einer atemberaubenden Spannweite von 65 Metern und ohne Mittelstützen (!) überquert sie in einem Anschnittwinkel von 30 Grad als elegante Spannbeton-Bogenbrücke die Nahtstelle zwischen Scharnweber– und Seidelstraße. Diese durch die damals bereits beabsichtigte Verbreiterung des Straßenzugs notwendige Weitläufigkeit und die durch die in der Straßenmitte verkehrende Straßenbahn gewünschte pfeilerlose Konstruktion stellte 1956-57 den Architekten Bruno Grimmek vor einigen konstruktiven Herausforderungen.
Herausforderungen, denen die Ingenieure jener Zeit mangels entsprechender Erfahrungen (die Brücke war eine der ersten Spannbetonkonstruktionen in Berlin) nicht immer gewachsen waren. Nach im Laufe der Jahrzehnte zahlreichen Reparaturen der Brücke ist nunmehr ihr Ersatz nunmehr notwendig. Schade, denn bei der neuen Brücke wird es sich um eine Stahlkonstruktion mit Mittelstütze handeln. Der alte elegante Bogenschwung ist dann, trotz Denkmalschutz, Vergangenheit...
| Die Brücke einige Jahre nach ihrer Fertigstellung. Längst ist die in der Straßenmitte verlaufende Straßenbahn eingestellt, die Oberleitung fehlt bereits. Mit der Verlängerung der heutigen U6 in Richtung Tegel sollte die als "altmodisch" und dem "Autoverkehr im Wege stehende" Straßenbahn auch in diesem Bereich eingestellt werden. Noch nicht verbreitert, wie geplant, wurde der Straßenzug Scharnweber- und Seidelstraße.
| Blick auf die Brücke der U6 von der Scharnweberstraße aus. Direkt unter der Brücke beginnt die Seidelstraße. Mit ihrem eleganten Bogenprofil und der Schräglage passt sie sich gut der Umgebung - und den zeitgleich errichteten neuen U-Bahnstationen - an.
Der Abbruch und der Ersatzneubau der Brücke über die Scharnweber- und Seidelstraße ist jedoch nur ein Teil der im nördlichen Abschnitt der heutigen U6 notwendigen Baumaßnahmen. Während einer vollständigen Sperrung der U6 zwischen dem U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel vom 7. November 2022 bis zum Frühjahr 2025 werden die gesamten Gleise samt Schotterbettung zurückgebaut und der Bahndamm um 2 Meter abgetragen. Denn im Laufe der Jahrzehnte hat sich der damals aus feinkörnigen, eigentlich nicht unbedingt geeigneten Sandmaterial, welches beim Tunnelbau angefallen war, aufgeschüttete Damm um z. T. mehr als einem Meter gesenkt.
Zudem ist der Böschungswinkel der Dämme, um Grunderwerbskosten zu sparen, aus heutiger Sicht zu steil ausgefallen. Aus diesem Grund werden nun je Gleisseite im Abstand von 3 m Bohrpfähle durch den Damm bis auf dem gewachsenen Grund getrieben. Im Anschluss erfolgt eine Verbindung der Bohrpfähle durch eine brückenartige Konstruktion, welche die Gleise und damit auch die durch den Bahnverkehr entstehenden Lasten aufnimmt und in den Boden über die Bohrpfähle ableitet. Setzungen des Damms sind damit ausgeschlossen.
Neben der rund 2,3 km langen Dammstrecke müssen aber auch die Tunnelportale nahe den Bahnhöfen Borsigwerke und Kurt-Schumacher-Platz erneuert werden - und auch die der Witterung auf der Dammstrecke ausgesetzten Bahnhöfe selbst erfordern dringend eine Sanierung. Der Beton wurde damals vielfach aus ästhetischen Gründen zu dünn aufgetragen, was die Konstruktion zwar elegant und grazil wirken ließ, Regenwasser jedoch das Eindringen in die Bausubstanz bis hin zum Bewährungsstahl ermöglichte, der dann zu rosten anfing.
Die Brücke über die Scharnweber- und Seidelstraße (die Grenze beider Straßenzüge verläuft genau unter der Brücke) ist ohne Zweifel ein ästhetisches wie konstruktives Meisterwerk, insbesondere vor dem Hintergrund der damaligen Zeit und des geringen Maßes an Erfahrung mit der neu entwickelten Baumethode "Spannbeton". Die große Spannweite der Brücke, ihr eleganter Schwung ohne störende Zwischenpfeiler bei ausreichender Tragfähigkeiten für den Bahnverkehr wird hier durch die vorgespannten Stahlkabeln im Inneren der Brücke erreicht. Doch während moderne Spannbetonbrücken Revisionsschächte besitzen, mit denen man den Zustand der Spannkabel kontrollieren kann, wurden hier diese mangels Erfahrung einfach einbetoniert. Niemand weiß daher genau, wie der Zustand der Spanndrähte im Augenblick ist. Auf Dauer ein unhaltbarer Zustand.
| Ein Zug der Baureihe F der BVG in orange-gelb lackiert, nähert sich der Brückenmitte auf dem Weg zum Bahnhof Otisstraße. Die Scharnweberstraße, die unmittelbar unter der Brücke in die Seidelstraße übergeht, bildete die damalige Bebauungsgrenze, wie man noch heute anhand der aus der Kaiserzeit stammenden Altbauten rechts erkennen kann.
| In der Unteransicht, etwa in der Perspektive, wie sie damals wohl auch die Straßenbahn hatte, ist die Brücke besonders eindrucksvoll. Es war für die Konstrukteure der 1950er Jahre eine große Herausforderung, eine derartige Spannbetonbrücke (eine damals noch völlig neue Bauweise) zu errichten, die im eleganten Bogen und noch dazu im schiefen Winkel die vielbefahrene Scharnweberstraße quert.
Und so musste denn auch der Denkmalschutz nach vielen Prüfungen dann schweren Herzens seine Einwilligung zum Abbruch der Brücke geben. Das nun die neue Brücke nicht in der Form der alten Spannbetonbrücke errichtet werden kann, liegt u. a. an den modernen Bauvorschriften. Zudem lässt sich mit dem Werkstoff Stahl auch keine Brücke in gleicher Form, wie sie die Spannbetonbrücke zeigt, nachempfinden. Daher entschied man sich für eine moderne zweiteilige Stahlbrücke mit Mittelpfeiler.
War die bisherige Brücke mit ihrem eleganten Bogenschwung geradezu eine Landmarke für diesen Teil Reinickendorfs, so wird die neue Konstruktion nur eine gewöhnliche Bahnbrücke sein, wie es sie vielfach an anderer Stelle gibt. In Erinnerung wird die alte elegante Spannbetonbrücke jedoch wohl noch lange Zeit bleiben, sicher nicht nur eingedenk meines Berichtes...
| Die Brücke von der Seidelstraße aus. Direkt unter der Brücke geht die Scharnweberstraße in die Seidelstraße über. Ab hier endet, damals wie heute, die Bebauung und es beginnen umfangreiche Laubenkolonien. Nicht weit entfernt ist allerdings die ehem. Siedlung des franz. Militärs am nördlichen Rand des Flughafen Tegels.
| Ein F-Zug in Orange-gelb hat die Brückenmitte auf seinem Weg zum U-Bahnhof Scharnweberstraße überschritten.
| Der Zug steht nun mit voller Länge auf der Brücke. Nur dank spezieller Kameratechnik ist eine derartige Aufnahme aus relativ geringen Entfernung möglich. Aufgenommen mit einer Vollformat-Kamera und einem passendem Weitwinkelobjektiv.
| Ein Zug der modernen Baureihe H in sonnengelber Lackierung hat die Brücke bereits ein Stück weit verlassen. Die nächsten Aufnahmen mit planmäßigen Zügen wird es erst wieder 2025 mit Fertigstellung des Brückenneubaus geben.
Abbruch2
2 | Der Tod einer Schönheit
Nach den entsprechenden Vorarbeiten wurde es ernst. Am Freitag, den 17. März 2023 ab 20 Uhr bis Montag, den 20. März 2023 gegen 5 Uhr waren die Scharnweber- und die Seidelstraße im Bereich der Brücke gesperrt. Während dieser Zeit wurde die Brücke der U6 komplett abgebrochen und ihre Überreste sowie das zuvor zum Schutz der Straßendecke aufgeschüttete Sandbett beseitigt.
Bis die neue Brücke, eine reine Stahlkonstruktion mit Mittelpfeiler, fertig gestellt sein wird, werden noch etliche Monate ins Land gehen. Im Frühjahr 2025, so schätzt man, soll die Sperrung der U6 zwischen den Bahnhöfen Scharnweberstraße und Alt- Tegel aufgehoben sein. Diese lange Zeit ist allerdings nicht nur dem Neubau der Brücke geschuldet, sondern auch der notwendigen Betonsanierung aller Bahnhöfe in diesem Abschnitt. Zudem muss auch der Bahndamm teilweise neu aufgeschüttet werden, da es auf Grund der schlechten Ausführungsqualität und des zu steilen Böschungswinkels bereits zu erheblichen Setzungen gekommen ist, Diesen im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Setzungen konnte nur durch eine Nachschotterung von bis zu 1,5 m Höhe (!) begegnet werden.
| Blick von der Scharnweberstraße auf die Baustelle. Stand Samstag, ca. 15 Uhr. Die Brücke der U6 hatte bereits in den Tagen zuvor ihren Anschluss an den gleichfalls zum Teil abgetragenen Bahndamm verloren. Nun ist man dabei, die Brücke in ihrer Breite zu reduzieren.
| Blick auf das nördliche Widerlager und dem nun freiliegenden Innerem der Brücke.
| Nur wenig ist am Samstag Nachmittag noch von der Brücke übrig. Am darauffolgenden Sonntag wurde der Rest der brücke entfernt. Gut zu sehen die über einen Meter hohe Erdschicht, die zum Schutz der Straßendecke zuvor aufgeschüttet worden war.