Lichterfelde West
Bergemann Silberwaren
Lichterfelde West
Vorgeschichte1
1 | Letztes Fachgeschäft für Silberwaren
Text und Bild: Lutz Röhrig
Einst hieß es, dass man in Berlin für jeden Zweck ein Spezialgeschäft finden könne. Doch für zumindest eine Branche gilt dies nun nicht mehr: Hochwertige Silberwaren sind künftig nur noch antiquarisch oder vereinzelt neben Bestecken oder Schmuck zu bekommen. Ein spezielles Fachgeschäft, das sich ausschließlich mit dem Verkauf und der Reparatur von Silberwaren befasst, gibt es hingegen ab Heiligabend dann in Berlin nicht mehr. Grund genug also für mich, „Bergemann Bestecke & Silberwaren“ in der Drakestraße 43a am S- Bahnhof Lichterfelde – West mit meiner Kamera zu besuchen.
Meine Partnerin und Assistentin Franziska indes, die mich sonst gern begleitet, konnte diesmal auf Grund ihres Dienstplanes leider nicht mit dabei sein. Schade, sie hätte eine Menge über historische Bestecke und Vorlegeteile sowie der Bearbeitung und Pflege von Silberwaren erfahren können.
| "40 Prozent auf alle Waren". Am 24. Dezember 2019 schließt "Bergemann Bestecke & Silberwaren" in der Drakestraße 43a für immer seine Türen.
| Ölgemälde im Besitz des Eigentümers von 1998. Es zeigt im wesentlichen die Situation, wie sie sich bis zuletzt noch geboten hat.
| Ölgemälde im Besitz des Eigentümers von 1996. Es zeigt den ursprünglichen, an Stelle der Buchhandlung eingerichteten Ladenteil. Links befindet noch das Parfümerie und Seifengeschäft.
Besuch2
| Frau Baumann in Ihrem Element. Fachkundig erklärte sie mir viele Dinge, deren Zweckbestimmung sich nicht auf dem ersten Blick erschließt...
2 | Der Besuch in der Drakestraße
Mit den Eigentümern, dem Ehepaar Bergemann, hatte ich verabredet, dass ich mich etwa eine Stunde vor Ladenöffnung mit Frau Anneliese Baumann, die im Geschäft bereits seit 17 Jahren arbeitet, treffen solle. Wegen des langen Anfahrweges aus Blankenfelde wartete ich etwas verfrüht vor dem Laden – und tatsächlich, ebenfalls etwas vor der Zeit erschien Frau Baumann und begrüßte mich herzlich, öffnete den Laden und begann, mich über all die vielen Dinge zu informieren, die sich mir hier offenbarten.
Irgendwie fühlte ich mich hierbei an jene nun mehr weit zurückliegende Zeit erinnert, als ich einst selbst im Werksladen meines damaligen Arbeitgebers in Steglitz den Kunden unsere Maschinen und Geräte erklärte.
Viele kuriose und heute seltene Stücke waren in den Vitrinen zu bestaunen, die überaus fachkundig von Frau Baumann in ihrer Zweckbestimmung und Handhabung erklärt wurden.
| Hätten Sie es gewusst? Bei dem an eine Schraubzwinge erinnernden Vorlageteil handelt es sich um ein Wachtelbeinhalter. Bereits in der Küche befestigte der Koch die zubereiteten Wachtelbeine in der Halterung, so das am Tisch ohne Beschmutzung der Hände diniert werden konnte. Vergleichbare Servierteile gab es z. B. auch für Hühnerkeulen...
| ...welche dann auch oben links (Nr.1) zu sehen sind. Der Schaukasten ist eine Reise in die Esskultur der Jahrhundertwende. Apfelsinenschäler (Nr.2), Hartkäsehalter (Nr.3), Knochenmarklöffel (Nr.4), Zieharmonika - Vorlegegabel (Nr.5), Spargelzange (Nr.6), Eisbombenbesteck (Nr.7), Matetee Sauglöffel, Fachausdruck: Bombilla (Nr.8), Fischgrätenzangen (Nr.9), Nussbesteck ohne Nussknacker (Nr. 10), Zitronenpresse (Nr.11), Petit Fours Schieber (Nr. 12).
| Neben den Servierteilen mit für mich unbekannter Zweckbestimmung zogen aber auch jene seltsamen, auf einigen Vitrinen stehenden Apparate meine Aufmerksamkeit auf sich. Frau Baumann erklärte, das diese Apparaturen einst zum polieren der Silberbestecke dienten. In großen repräsentativen Haushaltungen oder Firmen war nicht die Zeit, um mit Sand und Korken, wie sonst üblich, die oft viele hundert Teile umfassenden Besteck- und Servierteile zu polieren...
| Natürlich konnten Messer auch einmal stumpf werden. Auch dafür gab es spezielle Apparaturen.
Buchladen3
3 | Buchladen, Seifengeschäft und Silberwaren
Auf meine Frage, welches Geschäft denn vor 35 Jahren im ältesten Teil des Ladengeschäftes zuvor ansässig gewesen ist, erklärte Frau Baumann nach einem kurzen Telefonat mit dem Eigentümer, dass dies die Buchhandlung Rosenfeld gewesen sei, welche dann auf die gegenüberliegende Straßenseite in größere Räume zog.
Das Ehepaar Wolfgang und Cornelia Bergemann hatte mit dem Handel von Silberwaren auf dem Trödelmarkt an der Straße des 17. Juni begonnen. Die Geschäfte liefen gut, bald benötigte man Räume für eine Werkstatt und einem kleinen Laden. Vor 35 Jahren wurde diese dann in der Lichterfelder Drakestraße gefunden - eben die der Buchhandlung. Beides Zusammen - das Ladengeschäft ebenso wie die Werkstatt, in welcher so ziemliches alles aus Silber und Metall repariert und restauriert werden konnte, entwickelten sich günstig. Bald konnten daher auch die Räume des benachbarten Seifengeschäftes nach dessen Schließung mit hinzugenommen werden, so das der Laden eine Größe von nunmehr 80 qm besitzt.
Den ursprünglichen, in Nachfolge der Buchhandlung erworbenen Ladenteil ziert heute übrigens eine imposante hölzerne Vitrine, der man ihr Alter und ihre ursprüngliche Zweckbestimmung ansieht. Es handelt sich hierbei um ein aus einer Kirche im süddeutschen Raum stammendes "Eingericht", so der Fachbegriff, welches ursprünglich zur Aufbewahrung einer Marienstatue diente.
| Der ältere Ladenteil, der einst zu einer Buchhandlung gehörte. Mit der Aufgabe des benachbarten Seifengeschäftes konnte ein Wanddurchbruch zu dessen Räumlichkeiten geschaffen werden (rechts der Durchgang zum ehemaligen Seifengeschäft, heute der erste Ladenteil mit dem Eingangsbereich).
Ausverkauf4
| Mein Lieblingsgegenstand: Die silberne Nachbildung eines gesattelten Pferdes. 1500 Euro, nun allerdings noch minus 40 Prozent...
4 | Ausverkauf bei Bergemann. 40 Prozent auf Alles...
Doch nun, nach 35 Jahren, geht das Eigentümerehepaar in den Ruhestand – was auch auf Frau Baumann zutrifft. Ein Nachfolger konnte nicht gefunden werden und auch Silberschmiede für den Werkstattbereich gibt es heute nur noch wenige. Doch ohne eigene Werkstatt trägt sich das Geschäft leider nicht...
Zu den Kunden zählten Botschaften, die ihre Bestecke bei Staatsbesuchen in Ordnung bringen ließen sowie das Auswärtige Amt, das Silberteller als Präsente bei Verabschiedungen von Botschaftern im Laden erwarb. Auch in den USA waren die Artikel und vor allem auch der Werkstatt - Service der Fa. Bergemann gefragt.
Während die Werkstatt bereits geschlossen ist soll der Ladenbereich bis zum 24. Dezember 2019 möglichst leer sein, daher gibt es 40% Rabatt auf alle Artikel – fachkompetente Beratung derzeit noch inbegriffen. Denn bald wird es in Berlin kein Spezialgeschäft für Silberwaren mehr geben, das derart detailliert über alle Fragen Auskunft geben kann...
| Der Blick durch die Vitrinen. Was es hier so alles zu entdecken gab...
| Bald wird es das Ladengeschäft an der Drakestraße neben dem Coiffeur "Sascha Lichtner" nicht mehr geben. Berlins Süden hat wieder ein Stück seiner einstigen großen Vielfalt an exklusiven Fachgeschäften verloren...