Dr. Fraenkel und die Kuranstalt "Berolinum"
Teil 1
Der jüdische Arzt Dr. Fraenkel
Topanker
Vorgeschichte1
Bild und Text: Lutz Röhrig
Vor noch nicht allzu langer Zeit stand der ansonsten kaum bekannte Leonorenpark in Lankwitz im Fokus des allgemeinen Interesses. Gegen die beabsichtigte Fällung des zum Teil über hundertjährigen Baumbestandes zugunsten von Flüchtlingsunterkünften hatte sich eine Bürgerinitiative gebildet, die u. a. auch durch den Schauspieler Dieter Hallervorden Unterstützung fand. Dessen Film „Sein letztes Rennen“ war zum Teil im Park gedreht worden. Eine geschicktere Planung, so die Initiative, hätte beiden Zwecken – der Aufstellung von provisorischen Flüchtlingsunterkünften wie auch der Bewahrung des Baumbestandes - dienen können.
Leider nur in Nebensätzen erfährt man, dass dieser Park einst Teil des seinerzeit größten Kur- und Nervenheilsanatoriums auf dem Stadtgebiet des heutigen Berlins war. So wurden in der "Heil- und Pflegeanstalt Berolinum" nicht nur psychisch Beeinträchtigte und sog. "Morphinisten", also Morphiumsüchtige, therapiert, sondern auch Magen- und Darmleidende sowie Zucker- und Nierenkranke.
| Doppelt abgezäunt und angesichts der Proteste schwer bewacht: der älteste Teil des einstigen Kurpark der Heil- und Pflegeanstalt Berolinum kurz vor der Fällung von 200 Bäumen am Montag, den 20. Februar 2017.
| Ein anrührender, aber auch Hoffnung gebender Film über das Alter, dem Leben im Heim und der Würde des Menschen auch in seinem letzten Lebensabschnitt - gedreht im Leonorenpark, dem ehem. Kurpark des "Berolinum". Bravo Didi, bei mir hast Du in jedem Fall das Rennen schon gewonnen.
Das "Berolinum" war derart bedeutend, dass die zu diesem Zeitpunkt selbständige Gemeinde Lankwitz einen Großteil ihrer Steuereinnahmen aus dem Kur- und Anstaltsbetrieb erzielte. Mit Platz für 450 Männer und 50 Frauen, aufgeteilt in sieben Häusern und 4 Pavillons, war die „Heilanstalt Berolinum“ die seinerzeit Größte im Berliner Raum.
Untrennbar verbunden ist diese für Lankwitz und auch Berlin wichtige Einrichtung mit dem Schicksal ihres Begründers, des jüdischen Arztes Dr. James Fraenkel, an welchen noch heute eine Gedenktafel am ehem. Kurhaus erinnert. Mit dem Abriss auch der letzten noch erhaltenen Bauten des Berolinums verschwindet zugleich auch ein wichtiger Teil der jüdischen Geschichte des Bezirks...
Berolinum2
James Fraenkel wurde 1859 im Oberschlesischem Rybnik als Sohn des Rabbiners Daniel Fraenkel und dessen Frau Julie Rosenstein, Tochter eines Berliner Rabbiners, geboren. Fraenkel hatte 11 Geschwister, darunter den in Berlin tätigen Architekten Max Fraenkel (1856–1926).
Nach Studium und Promotion beginnt James Fraenkel seine Ausbildung an der Mendelschen Privatheilanstalt in Pankow, wo er bis 1889 tätig ist. Bereits in dieser Heilanstalt lernte Fraenkel die ersten Ansätze einer modernen Psychiatrie kennen. Ansätze, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Albert Oliven nun auch in der von beiden 1889 begründeten und am 1. April 1890 eröffneten privaten „Heil- und Pflegeanstalt Berolinum für Gemüts- und Nervenkranke" an der damaligen Lankwitzer Victoriastraße (seit 1937 "Leonorenstraße") umsetzen und vervollkommnen sollte.
| Schematischer Grundrissplan des Berolinums
| Die Gedenktafel für Dr. med. James Fraenkel am ehem. Kurhaus ist heute von außen durch den umgebenden Zaun und hohe Hecken kaum mehr einsehbar.
Die im Laufe der Zeit immer weiter ausgebauten Gebäude der Heilanstalt erstreckte sich schließlich von der Berliner- (seit 1897 Siemens-) straße ausgehend rechts und links der Leonorenstraße bis hin zur Calandrellistraße.
>Die heute noch erhaltenen Altbauten auf der nördlichen Seite der Leonorenstraße gehörten dabei zur ehemaligen Herrenabteilung, während auf der südlichen Straßenseite bis an die heutige Brucknerstraße (damals Lessingstraße) einst die im Krieg zerstörten Gebäude der Damenabteilung standen.
Jenseits der Brucknerstraße bis an die Nicolaistraße (ehem. Luisenstraße) erstreckten sich die privaten Villengrundstücke von Dr. James Fraenkel und Dr. Albert Oliven.
Kurhaus3
Architektonisch dominiert wird das Gelände des „Berolinum“ durch das heutzutage im auffälligen Gelb gehaltene ehem. „Offene Kurhaus für Rekonvaleszenten“ an der Ecke zur Siemensstraße und Leonorenstraße. 1907 und damit kurz vor Fertigstellung des Teltowkanals erbaut, enthielt das vom übrigen Gelände etwas separierte Kurhaus im Obergeschoss 20 mit Loggien und Balkonen ausgestattete Patientenzimmer. Im Erdgeschoss waren die Büros der gemeinsamen Anstalts- und Kurhausleitung, diverse Gesellschaftsräume sowie ein sog. „Mediko – Mechanisches Zimmer“ (für Bewegungsübungen mit Geräten) untergebracht. Im Paterre befanden sich auch die Räumlichkeiten der Loge des Guttemplerordens, welcher sich speziell um Alkoholkranke kümmerte.
Das durch den Bruder von Dr. James Fraenkel , dem Architekten Max Fraenkel errichtete Kurhaus besaß fließend Wasser, elektrische Beleuchtung und eine Zentralheizung, was in der damaligen Zeit besonders herausgestellt wurde. Gleichzeitig mit dem Kurhaus entstanden von diesem über einen Wandelgang erreichbare Sportplätze, Kegelbahnen, Luft- und Sonnenbadplätze sowie ein großer, sich bis an den Teltowkanal erstreckender Kurpark - der heutige Leonorenpark.
| Das alte Kurhaus um 1910.Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Das ehem. Kurhaus 2017. Das Eingangsportal in der Umzäunung ist verschwunden, die Fassade geglättet.
1913 wurde das Gebäude erweitert, was die örtliche Presse auch genügend zu würdigen wusste. Die Heil- und Kuranstalt war derart bedeutend, dass sich auch der damalige Lankwitzer Bürgermeister Beyendorff es sich nicht nehmen ließ, zusammen mit weiteren Gemeindevertretern sowie Repräsentanten des Ärztevereins, das erweiterte Kurhaus nebst den modernisierten Außenanlagen persönlich zu eröffnen.
Das Kurhaus überstand, leicht verändert, die Zeit, wenn auch heute mit einer völlig anderer Nutzung durch die Justizverwaltung Berlins. Bald wird es, nach den bereits erfolgten oder noch in Vorbereitung begriffenen Abrissmaßnahmen, dass letzte bauliche Zeugnis des "Berolinums" überhaupt sein - sofern nicht auch hier Modernisierungswünsche anstehen sollten...
| Das ehem. Kurhaus 2018. Blick auf den seitlichen Treppenhausturm und den seitlichen Anbauten.
| Noch heute merkt man dem Gebäude an, das in ihm wohlhabende Kurgäste untergebracht waren.
| Die Empfangshalle des Kurhaus um 1910.Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Eines der Zimmer im Kurhaus um 1910.Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Baderaum im Kurhaus um 1910.Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Baderaum im Kurhaus, Blick in die Gegenrichtung. Um 1910.Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
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Unmittelbar neben dem Kurhaus liegt das ehem. „Haus für männliche Pensionäre“: ein hohes, zweistöckiges Gebäude, das zu den ersten Bauten des Berolinums gehörte.
Nach dessen Erweiterung im Jahre 1908 bot es Platz für insgesamt 70 männliche Patienten, denen nun komfortabel ausgestattete Gesellschafts- und Therapieräume zur Verfügung standen. Das Gebäude blieb bis heute erhalten, soll jedoch, wie bereits das ehem. Kommunal - Krankenhaus, den Planungen zur Modernisierung des Altenpflegeheims weichen.
| Das "Haus für männliche Pensionäre" im Jahre 2018. Längst verschwunden ist die große Glasveranda, von der nur noch der mit rundbögigen Kellerfenstern versehene Sockel blieb (links). Auch dieses Gebäude wird den Planungen zur Modernisierung des Altenpflegeheims bald weichen müssen.
| Das "Haus für männliche Pensionäre" um 1910. Damals noch mit großer Glasveranda. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Der in der großen Glasveranda untergebrachte Gesellschaftsraum im "Haus für männliche Pensionäre" um 1910. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Aktueller Blick in das Innere des ehem. "Hauses für männliche Pensionäre", das heute ebenfalls als Altenpflegeheim genutzt wird.
| Blick vom Dach des Haus Leonore auf das ehem. "Haus für männliche Pensionäre". Gut zu sehen der moderne Anbau. Auf der Freifläche links befand sich bis vor kurzem noch das alte Gebäude des ehem. Kommunal - Krankenhaus.
Kommunal5
| Das Gebäude des Kommunal - Krankenhauses im Februar 2017 einige Monate vor dem Abbruch.
In ähnlicher Stilistik wie das „Haus für Pensionäre“ ist das Gebäude „zur Behandlung von Kommunal- und Kassenpatienten“ gehalten, welche vom übrigen Anstaltsbetrieb mit seinen an ein besseres Publikum gerichteten Anlagen getrennt untergebracht waren. Immerhin standen nun auch den Kassenpatienten moderne therapeutische Einrichtungen zur Verfügung - was für die Zeit immer noch nicht selbstverständlich war.
Natürlich hatte man bei der Errichtung des Berolinums auch an die Anlage von Betriebsgebäuden gedacht. Diese befanden sich zwischen dem „Haus für männliche Pensionäre“ und dem Gebäude für "Kommunal- und Kassenpatienten. Zu Ihnen gehörte etwa die Werkstätte für Klempner, die Waschküche, eine Leichenhalle mit Obduktionsraum sowie die Anstaltsgärtnerei. Im Dezember 2017 wurde das bislang noch erhaltene Gebäude des ehem. Kommunal- Krankenhauses leider abgebrochen.
| Das Kommunal - Krankenhaus um 1910. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/
| Das ehem. Kommunal - Krankenhaus im Februar 2017. Verschwunden ist die auf den historischen Aufnahmen noch zu sehende Holzveranda zwischen den Gebäudeflügeln sowie große Teile der Zierornamentik.
| Eine seltene Ansicht der Holzveranda des Kommunal- Krankenhauses. An den Fenstern bzw. davor hat sich das Pflegepersonal ablichten lassen. Sammlung Röhrig.
| Eine alte Postkarte des Kommunal - Krankenhauses. Im Hintergrund das ehem. "Haus für männliche Pensionäre". Auch bemerkenswert: der Hanomag 2/10 in Taxiausführung. Das Fahrzeug mit dem Spitznamen "Kommissbrot" war der erste deutsche Kleinwagen, welcher in Fließbandfertigung hergestellt wurde (Baujahre lediglich von 1925 bis 1928). Archiv Verfasser.