Bolle brennt!
Der 1. Mai 1987
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Bild und Text: Lutz Röhrig
Der erste Mai 1987 war eine Zäsur. Von nun an blickte man voller Sorge auf den Beginn des Monats Mai mit der Frage „Wird es denn auch in diesem Jahr friedlich bleiben?“ Die Krawalle in der Nacht zum 1. Mai. 1987 waren derart heftig, dass sich die völlig überforderte Polizei aus dem Bezirk Kreuzberg zurückziehen musste. Mit einem derartigen Aufstand hatte man nicht gerechnet. Auch Feuerwehr und BVG (der U-Bahnverkehr auf der Linie 1 musste eingestellt werden) waren zur Hilflosigkeit verdammt.
Als ein Fanal galt dabei der Brand des Bolle Supermarktes an der Ecke Skalitzer-, Wiener- und Manteuffelstraße. Die Bilder der brennenden Ruinen wurden fortan regelrecht zu einem Sinnbild der Kreuzberger Mai-Krawalle – zu Unrecht, wie sich erst Jahre später herausstellen sollte. 1990 gab die Polizei bekannt, dass ein Gelegenheitsarbeiter lediglich die Gunst der Stunde genutzt hatte, um seinen zweifelhaften Neigungen Raum zu verschaffen. Bereits in den Wochen zuvor hatte er versucht, das damalige Bilka – Kaufhaus an der Kottbusser Brücke sowie einen Kindergarten in der Adalbertstraße in Brand zu setzen. Insgesamt konnten ihm 48 Brandstiftungen nachgewiesen werden. Nach dem furchtbaren Treiben jener Nacht des Jahres 1987 machte sich aber - neben hunderten Schaulustigen - auch ein junger Kreuzberger mit seiner Kamera auf den Weg, die qualmenden Trümmer der Bolle – Filiale sowie das hinterlassene Schlachtfeld auf Film zu bannen...
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1888- 89 entstand auf dem Grundstück durch den Kaufmann Gustav Hartung eines jener viergeschossigen stuckbeladenen Eckhäuser, wie sie für Kreuzberg in jener Zeit typisch waren. Ein Jahr später wird das Gebäude an den Apotheker Wolff verkauft. 1921 erwirbt der Textilhändler Max Süßkind das Haus von den Erben des Apothekers. 1926 wird von Süßkind das Gebäude um eine fünfte Etage aufgestockt sowie um ein Quergebäude und einen Seitenflügel erweitert.
Im Rahmen einer Zwangsversteigerung geht das Haus 1930 an den jüdischen Kaufmann L. Lindemann, dem jedoch 1939 aller Immobilienbesitz aberkannt wird. Nach der Enteignung können die Nazis das Gebäude im Verlauf einer Zwangsversteigerung erwerben. Am 3. Februar 1945 wird das Haus bei einem Luftangriff zerstört.
1952 kann der jüdische Kinobetreiber Ernst Wolff, welcher untergetaucht in Berlin die NS-Zeit überlebt hatte, das Grundstück vom Jewish Claims erwerben und lässt es noch im gleichen Jahr von den Trümmern beräumen, um hier von 1953 - 1954 das "Colosseum", ein Kino mit 700 Sitzplätzen, zu errichten. Ernst Wolf gehörten bis dahin bereits der „Tauentzien-Palast“, das „Residenz“ in Reinickendorf, das „Palladium“ in der Baewaldstraße sowie das „Mosaik-Kopierwerk“, das er im alten Kopierwerk der Luftwaffe in Lankwitz eingerichtet hatte.
1963 stirbt Ernst Wolff im Kreuzberger Krankenhaus Bethanien, das Kino wird im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kinosterben zusehends unrentabler. 1969 erwirbt die Berliner Meierei- und Lebensmittelfilialkette "C. Bolle" das Grundstück und errichtet im ehemaligen Kino einen ihrer Supermärkte. Nach dem Brand der Bolle - Filiale 1987 wird das Grundstück 1988 enttrümmert.
Heute erhebt sich auf dem Grundstück die 2010 eröffnete Omar - Ibn- Al Khattab - Moschee, deren Bau im Jahre 2004 begann. Der mit vier etwa 7 Meter hohen Minaretten und einer Kuppel versehene Bau enthält u. a. Veranstaltungsräume, Festsäle sowie eine Koranschule.
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Nach dem die ganze Nacht über Ausnahmezustand im östlichen Teil Kreuzbergs geherrscht hatte, machte sich auch ein junger Mann aus dem westlichen Teil jenes Bezirkes auf, um mit der Kamera das festzuhalten, was er seit den Hausbesetzer-Krawallen nicht mehr gesehen hatte...
Das Ausmaß der Zerstörung, das er mit seiner Kamera festhielt, war groß. Zerschlagene Fensterscheiben, ausgebrannte Autowracks, zerstörte Ampelanlagen.
Und dann jener noch immer in Brand stehender Supermarkt, von dem erst viel später bekannt werden sollte, das dies nicht das Werk der militanten Demonstranten, sondern eines Pyromanen war...
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| In Scharen strömen die Schaulustigen zum ausgebrannten Supermarkt, aus dessen Trümmern immer noch durch die andauernden Löscharbeiten der Feuerwehr und des THW weißer Qualm aufsteigt. Im Vordergrund ein Pfeiler der Hochbahn aus jener Zeit, als man noch dekorativen Stahlbau betrieb. Fein, schlank und filigran - gegen Anprall durch massive Betonblöcke geschützt. Inzwischen leider durch einen weniger aufwendig gestalteten Neubau ersetzt.