Die "Stadtklause"
am Anhalter Bahnhof
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1 | Ein Kreuzberger am Rande seiner Welt
Bild und Text: Lutz Röhrig
Als geborener Kreuzberger zog mich das Umfeld des Anhalter Bahnhofs magisch an. Die Ruine am Askanischen Platz, die endlos große Schotterfläche, auf dem einmal vor langer Zeit das Hauptgebäude des Bahnhofs stand und die alten, längst überwucherten Bahnsteige dahinter. Ein unwirklicher Ort unweit der Mauer zu Ost-Berlin. Nur etwas für Engel, die sich lt. Wim Wenders filmischem Meisterwerk ab und an sich in der Nähe des heute längst vergessenen Imbisses am Rande der Schotterfläche aufhalten sollen, einst begrüßt von Peter Falk…
Doch auch an diesem abgelegenen Ort am Rande der Mauer zum Potsdamer Platz änderten sich im Laufe der Jahrzehnte die Dinge. Die Magnetbahn mit ihren weit auskragenden Stützpfeilern über den Tunnel der heutigen U2 verschwand nach der Wende ebenso, wie die langen gemauerten Gewölbe der sich von der Kanalbrücke hin zum unterirdischen Bahnhof Potsdamer Platz absenkenden Rampe der Hochbahn. Vergessen auch der merkwürdige „Buckel“ welchen die Bernburger Straße über den sich an die Rampe anschließenden Tunnel der heutigen U2 machen musste und über den sich jeder Autofahrer wunderte.
| Die Stadtklause hatte eine besondere Atmosphäre. Die Holzvertäfelung an den Wänden, die kassettierte Decke und die darin befindliche Beleuchtung aus Glühbirnen trugen im Wesentlichen dazu bei. Hinzu kamen die literarischen Zitate in den Deckenkehlen sowie das gotisch anmutende Fenster in der Nische gleich neben der Eingangstür. Ebenso stimmig waren die alten Fotos zur Geschichte des unweit entfernten Anhalter Bahnhofs. Und die hölzernen Bänke ließen einem an die alten S-Bahnwagen denken, von denen Sie vermutlich auch stammten.
| Man ging hinein in dieses scheinbar aus der Zeit gefallene Lokal und fühlte sich gleich geborgen. Im Winter strahlte der Kamin eine wohlige Wärme aus - und dem auf der Speisekarte angebotenen Schnitzel konnte man als Insider kaum widerstehen. Durch den Torbogen ging es in den zweiten Gastraum und weiter zu den wenigen Plätzen neben der Küche. Doch nur wenige wussten, das es rechts die Treppe hinunter nicht nur zu den Toiletten ging, sondern auch zu einer kleinen Ausstellung. , die jedoch auf Grund des abgeschalteten Lichtes meist im Dunkeln lag.
Niemand ahnte damals, dass in dem hermetisch abgeriegelten und bewachten Tunnelstück die Ost-Berliner BVB ihre Züge abstellte. Der nur wenige hundert Meter entfernte Bahnhof Potsdamer Platz war längst zu einem Geisterbahnhof geworden.
Die Gegend mag sich seither stark verändert haben, doch eine Konstante schien es zu geben: die alte „Stadtklause“ in der Bernburger Straße kurz vor dem Askanischen Platz. Auch wenn sich nicht ganz genau klären lässt, wie alt diese tatsächlich war, das Gebäude immerhin stammt aus dem 19. Jahrhundert – einer Zeit, als es noch vor dem Anhalter Bahnhof wartende Pferdekutschen gab, deren Kutscher im Haus übernachteten. Auch das Baumaterial des Gebäudes ist den unweit entfernten Bahnanlagen zu verdanken: so sollen alle Deckenträger aus alten Schienen bestehen.
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2 | Historie und Ende der "Stadtklause"
Auch wenn sich nicht genau klären lässt, wie alt die „Stadtklause“, die sich zuvor „Askania-Klause“ nannte, tatsächlich war, ihre Einrichtung strahlte etwas Historisches aus. Die alte Kassettendecke im ersten Gastraum, der ansonsten alte S-Bahnbänke als Sitzgelegenheit besaß, das holzverkleidete zweite Gastzimmer mit den alten Fotos und der letzte, meist nur wenig mit Gästen besetzte letzte Gastraum mit der Gläserspüle.
Der längst zur Kultkneipe gewordene Stadtkneipe konnte man sich ob ihres Charmes nur schwer entziehen. Die Plätze waren insbesondere zur Mittagszeit vollständig besetzt, was sicher auch an der direkt neben und hinter dem Gebäude ansässigen Redaktion des „Tagesspiegel“ lag, seit diese aus der Potsdamer Straße hierher verlegt worden war.
| Im zweiten Gastraum fühlten sich auch angesichts der langen Bänke und großen Tische kleinere Gruppen wohl. Im Laufe der Jahre waren die Wände mit einer Vielzahl von Bildern des Anhalter Bahnhofs und auch einige Porträts der bisweilen hier einkehrenden prominenten Persönlichkeiten dekoriert worden.
| Ob allerdings der in einer Ecke des zweiten Gastraums auf einem Foto zu sehende Alfred Hitchcock jemals in der Stadtklause eingekehrt ist, ist zumindest nicht überliefert. Hätte er diesen Ort gekannt, er wäre wohl begeistert gewesen. Das Foto zeigt in 1965 vor der Gedächtniskirche in Vorbereitung des Film "Der zerrissene Vorhang".
Nach dem die „Askania-Klause“ einige Jahre leer gestanden hatte und man sich bereits damals ernsthaft Sorgen um ihre Zukunft machte, übernahm 2006 Franz Josef Göbel das Lokal, dass er fortan „Stadtklause“ nannte. Mit ihm arbeitete hier seit der Wiedereröffnung Lumni Rekaliu, der 2020 das Lokal von Göbel übernahm.
Es sollten nur wenige Jahre werden, eher er vom Hauseigentümer die Kündigung erhielt. Am 30. September 2023, einem Samstag, schloss die „Stadtklause“, trotz vieler Proteste, für immer ihre Türen. Berlin verliert damit wieder eine Ihrer „Kultkneipen“. Schade…
| Frech das Licht für die Fotos einmal anschalten war daher die Devise. Ich kannte von vorangegangenen Besuchen diese Räume schon, da mir der damalige Inhaber diese voller Stolz gezeigt hatte. Leider hatte ich damals noch nicht die Kamera dabei. Dies holte ich nun nach - es sollte die letzte Gelegenheit sein.
| Im Kellerbereich waren nicht nur Schrifttafeln zur Geschichte des Anhalter Bahnhofs aufgehangen worden, sondern es wurde auch die Historie der ersten Berliner Philharmonie in der Bernburger Straße, in der sich ja auch die Stadtklause befand, näher behandelt. Leider war dieser imposante Bau im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden.
| Auf einigen, in den Nischen platzierten Regalen waren aus den Trümmern des Anhalter Bahnhofs geborgene Artefakte ausgestellt worden. So verwundert es nicht, das auch der Autor des Buches zur Baugeschichte des Anhalter Bahnhofs, Helmut Maier, sich hier regelmäßig mit dem Professor Laurenz Demps traf.